Klingnau
Paradies für Eisente, Eisvogel und Biber: Der Klingnauer Stausee zieht zahlreiche seltene Tiere an – aber auch viel Volk

Petra Zajec leitet als Biologin sowie Umwelt- und Erwachsenenbildnerin das Birdlife-Naturzentrum am Klingnauer Stausee. Die Naturschützerin verrät, ob sie die vielen Velofahrerinnen und Inlineskater am Stausee nerven, wann die Wildtiere am besten zu entdecken sind und wie ein Biber das Grundstück geflutet hat.

Sira Huwiler-Flamm, Südkurier
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Der Klingnauer Stausee entstand beim Baus des Kraftwerks Klingnau in den 1930er-Jahren.

Der Klingnauer Stausee entstand beim Baus des Kraftwerks Klingnau in den 1930er-Jahren.

Bild: Chris Iseli (21.9.2021)

Frau Zajec, der Klingnauer Stausee lockt viele Bewohnerinnen und Bewohner aus der Region und auch von ennet der Grenze zu Spaziergängen an. Seit 2019 gibt es das Birdlife-Naturzentrum, das Sie leiten. Was wird dort geboten?

Der Klingnauer Stausee ist ein Wasser- und Zugvogelreservat von internationaler Bedeutung und Teil des Auenschutzparks Aargau. Mit dem Naturzentrum möchten wir den Menschen diese Artenvielfalt näher bringen. Wir haben auf 100 Quadratmetern eine interaktive Ausstellung zu Vogel- und Tierarten, Biodiversität und der Entwicklung des Stausees über die Jahrzehnte. In einem virtuellen Flugsimulator kann man zum Beispiel erleben, wie ein Falter durch seine Umwelt flattert.

Petra Zajec leitet als Biologin das Birdlife-Naturzentrum am Klingnauer Stausee.

Petra Zajec leitet als Biologin das Birdlife-Naturzentrum am Klingnauer Stausee.

Bild: Sira Huwiler-Flamm / Südkurier

Und es gibt eine grosse Aussenanlage.

Genau. Auf einem Erlebnispfad kann man hier auf eigene Faust oder bei Führungen die Lebensräume einer Auenlandschaft entdecken und mit etwas Glück sogar einen Biber oder Eisvogel beobachten. Hier informieren wir auch darüber, wie man den eigenen Garten zu einem Naturparadies macht. Wir möchten sensibilisieren und inspirieren.

Der Stausee entstand beim Bau des Kraftwerks Klingnau. Wie haben Naturschützer in den 1930er-Jahren reagiert?

Natürlich haben die Begradigung der Aare und der Stausee erst einmal viele Lebensräume zerstört, das hat für Widerstand gesorgt. Dass sich mittlerweile wieder ein wertvolles Naturschutzgebiet am Stausee und in den umliegenden Auenwäldern gebildet hat, ist eine tolle Entwicklung. Engagierten Naturschützern ist es zu verdanken, dass der Klingnauer Stausee 1988 zum Schutzgebiet erklärt wurde.

Welche Tiere gibt es am Stausee?

Über 300 Vogelarten wurden hier schon gesichtet – darunter Seltenheiten wie die kleine Kormoran-Verwandte Zwergscharbe aus Südosteuropa, Eisenten aus dem Norden oder erst neulich eine Uferschnepfe auf dem Weg in ihr Brutgebiet. Aber die vielseitigen Lebensräume mit Auenwäldern, Feuchtgebieten, Sandbänken, Ufern, Schilfinseln, mal flachen, mal tiefen, mal fast stehenden, mal fliessenden Gewässern bieten auch vielen weiteren Tieren ein Zuhause.

Woher wissen Sie so genau, welche Vögel hier bereits gesichtet wurden?

Das Besondere hier am Stausee ist, dass bereits seit den 1960er-Jahren regelmässig Vögel gezählt und Daten ausgewertet werden. Seit einigen Jahren kann zudem jeder Sichtungen samt Foto über eine Website an die Vogelwarte Sempach melden, die schweizweit Meldungen prüft und sammelt.

Das Hermelin am Klingnauer Stausee spürt den Frühling.

Das Hermelin am Klingnauer Stausee spürt den Frühling.

Bild: zvg/Toni Imbach

Welchen Tiere leben hier ausserdem?

Mehr als 40 Libellenarten, sieben Fledermausarten und seltene Amphibien wie die Gelbbauchunke oder der bis zu 18 Zentimeter grosse Kammmolch. Im Winter beobachten wir auch immer wieder ein schneeweisses Hermelin, das richtig neugierig ist.

Zahlreiche Ornithologen und Hobby-Fotografen tummeln sich regelmässig am Seeufer. Was sind beliebte Motive?

Dazu zählt sicher der knallbunte Eisvogel mit seinem blau-orangenen Gefieder. Bei uns auf dem Gelände haben wir neben einer angelegten Brutmauer auch eine Beobachtungshütte für Naturliebhaber eingerichtet. An manchen Tagen platzt sie aus allen Nähten. Biber sind natürlich auch beliebte Fotomotive, auch wenn man sie gar nicht so leicht zu sehen bekommt. Der Eingang zum Bau befindet sich stets vor Feinden geschützt unter Wasser.

Ein Eisvogel fliegt pfeilschnell aus dem Wasser.

Ein Eisvogel fliegt pfeilschnell aus dem Wasser.

Bild: zvg/Lothar Tröndle

Wie viele Biberfamilien leben hier?

Mindestens fünf Familien sind uns bekannt. Letztes Jahr hat ein fleissiger Biber sogar direkt neben dem Naturzentrum einen Damm gebaut und mit dem seicht dahinplätschernden Bächlein unser Grundstück geflutet. Gemeinsam mit den Behörden, weiteren Betroffenen und einem Wildhüter haben wir dann eine sanfte Lösung gesucht: Ein Rohr lässt jetzt das Wasser ab einem gewissen Pegel abfliessen.

Zu welchen Zeiten kann man die Wildtiere am besten beobachten?

Die Vogelvielfalt nimmt durch viele Zugvögel aus dem Norden und Osten, die bei uns überwintern, in den Wintermonaten zu. Und auch in den Wandermonaten, etwa zwischen Ende Februar und Mai sowie August und Oktober, kann man seltene Beobachtungen machen, weil Vögel auf der Durchreise hier rasten. Biber, Hermeline und Amphibien kann man am besten in der Dämmerung sichten, weil sie nachtaktiv sind.

Der Stausee ist auch bei Velo- und Inliner-Fahrern beliebt. Stösst Ihnen das als Naturschützerin sauer auf?

Nein, im Schutzgebiet soll und darf es Platz haben für alle. Wichtig ist, dass die Menschen auf die Natur und aufeinander Rücksicht nehmen. Besucher befinden sich hier in einem Schutzgebiet, sollten die Wege nicht verlassen, ihren Abfall wieder mitnehmen und vor allem: keine Tiere füttern! Seit Januar ist das Füttern von Wildtieren in der Schweiz sogar gesetzlich verboten, weil es den Tieren schadet, die Ansteckungsgefahr von Krankheiten erhöht und sie unter Stress setzt. Wildtiere finden am Stausee selbst Nahrung. Wer ihnen helfen will, gestaltet am besten seinen Garten oder Balkon vogelfreundlich.

Im Naturzentrum kann man das lernen. Ist das beliebt bei Schulkassen?

Genau, wir haben viele Schulen zu Besuch und haben für Lehrpersonen auch Material-Boxen mit Lehrmaterialien zur Biodiversität oder Bibern zusammengestellt.

Welche Veranstaltungen sind in diesem Jahr im Naturschutzzentrum geplant?

Am 28. und 29. Mai können Interessierte das Naturzentrum an unseren Tagen der offenen Tür kostenlos kennen lernen. Zwischen April und Oktober bieten wir neben den regulären Öffnungszeiten auch Vogel-Pirsch-Ausflüge mit Ornithologen zu Eisvögeln und Pirolen sowie Tages- und Nacht-Exkursionen zu Themen wie «Tiere am Teich» oder «Bunte Schmetterlinge».

Gibt es auch rund um den See weitere Informationen?

Der Kanton Aargau hat an allen beliebten Eingängen Infotafeln und Flyer bereitgestellt, die über das Naturschutzgebiet informieren. Wir ergänzen die Infos mit aktuellen Themen. Zu empfehlen ist auch ein Besuch auf dem zwölf Meter hohen Aussichtsturm direkt vor unserem Naturzentrum. Hier kann man den kompletten See überblicken und erkennt die verschiedenen Lebensräume. Am Ostufer fliesst das Wasser rasant, während das Westufer von Schilfinseln und Sandbänken geprägt ist.

Diese zunehmende Verlandung des Westufers ist auch ein Problem?

Ja, die Aare spült über die Jahre immer mehr Sedimente in den See, die sich hier festsetzen. Wenn niemand aktiv wird, droht über kurz oder lang ein Teil des Stausees zu verlanden und zuzuwachsen. Dadurch würde die Vielfalt der Lebensräume und damit die Lebensgrundlage vieler Tierarten verloren gehen.

Was kann man dagegen tun?

Es braucht grössere Eingriffe. Zum letzten Mal wurden etwa vor etwa 15 Jahren Sedimente aus dem See gebaggert, nun werden wieder Massnahmen geplant. Solch ein Eingriff ist auch immer ein Eingriff in den Lebensraum der Tiere, deshalb muss man behutsam planen und vorgehen. Der Stausee ist heute ein wertvoller Lebensraum. Ich wünsche mir, dass die Vielfalt hier erhalten bleibt und vielleicht sogar weiter wachsen kann.