Veloreisen
40 Jahre Bodenseeradweg: Auf zwei Rädern unterwegs, wo Häfen, Märkte und Biergärten um Aufmerksamkeit buhlen

Unsere Autorin ist im Thurgau aufgewachsen und doch hat sie noch nie den Bodenseeradweg zurückgelegt. Dieser verläuft um den gesamten See und über drei Länder hinweg. Zum 40. Jubiläum des Velowegs lernt sie ihre eigene Region darum auf zwei Rädern neu kennen.

Aylin Erol 1 Kommentar
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Zwei Velofahrer auf dem Weg an die Arboner Seepromenade. Der Bodenseeradweg verläuft hier direkt dem Ufer entlang.

Zwei Velofahrer auf dem Weg an die Arboner Seepromenade. Der Bodenseeradweg verläuft hier direkt dem Ufer entlang.

Bild: Aylin Erol

Es ist kein Zufall, dass in zahlreichen deutschen Büchern vom «Urlaub am Bodensee» die Rede ist. Die Bodenseeregion ist das Tessin der Deutschen. Der Süden. Das, was an mediterranes Feeling im eigenen Land am nächsten kommt.

In meiner Stimme schwang deshalb immer etwas Stolz mit, wenn ich in fernen Ländern Deutschen Urlaubern sagte, dass ich «aus der Bodenseeregion» komme. Es war vielleicht etwas gelogen. Mit dem Auto hatte ich immerhin 25 Minuten zum See. Aber ausserhalb der Schweiz gilt das als nahe, oder? Auf meine Ortsangabe folgte auf jeden Fall anerkennendes Nicken. Und die Worte: «Am Bodensee? Da ist es schön.»

Eine Thurgauerin entdeckt ihre eigene Region

Ja, am Bodensee, da ist es schön. Das wissen wir aus der Ostschweiz am besten. Wir alle haben hier längst unsere Lieblingsplätze, Lieblingsbadis, Lieblingsstädte, Lieblingspromenaden und Lieblingsrestaurants. Mal auf der Schweizer, mal auf der deutschen oder österreichischen Seite. Bei mir sind es die Inseln Reichenau und Mainau bei Konstanz, das Seebad Mammern, die Altstädte von Stein am Rhein und Lindau, die Seepromenaden von Arbon und Bregenz und das Restaurant Hirschen in Berlingen.

Das Schönste am Bodensee aber ist, dass ihn tatsächlich alle geniessen können. Am Seeufer reiht sich nämlich nicht Villa an Villa und versperrt den Weg ans Wasser, so wie am Zürichsee. Der Bodensee ist für alle. Und noch etwas ist hier für alle: der Bodenseeradweg.

Für ihn haben 1983, vor genau 40 Jahren, alle Bodenseegemeinden zusammengespannt. Und damit auch alle drei Länder. Heute misst er 260 Kilometer und verläuft um den gesamten See. Die Strecke wird in acht Etappen aufgeteilt. Im Schnitt brauchen Radlerinnen und Radler für eine komplette Umrundung 5,5 Tage.

Für den Bodenseeradweg wurden ausserdem Strassen- und Grenzübergänge, Brücken und Wege extra ausgebaut. Selbst die Routen der Kursschiffe sind auf den Radtourismus ausgelegt. Den Weg weist überall dasselbe Schild. Darauf zu sehen ist ein Männchen, das auf einem Velo sitzt. Sein Hinterrad ist mit blauer Farbe ausgefüllt. Bodenseeblau.

Der Bodenseeradweg ist grösstenteils gut ausgeschildert. Etwa hier, in Meersburg.

Der Bodenseeradweg ist grösstenteils gut ausgeschildert. Etwa hier, in Meersburg.

Bild: Aylin Erol

Jährlich befahren den Bodenseeradweg 420’000 Personen, heisst es von der Arbeitsgemeinschaft Bodensee-Radweg. Tagestouristen nicht einberechnet. Diese hohe Zahl macht mich stutzig. Ich wohne so nah und doch bin ich den Bodenseeradweg noch nie abgefahren. Peinlich. Dabei soll er auch für ungeübte Radler perfekt geeignet sein. Mit und ohne Elektromotor.

Zum 40-Jahr-Jubiläum schwinge ich mich darum am Bahnhof Stein am Rhein aufs Velo. Von hier will ich bis an den Rorschacher Hafen radeln, wo ich am Abend das Schiff nach Lindau nehme. Am nächsten Tag geht es dann nach Meersburg, wo ich wiederum ein Schiff nach Konstanz nehmen will. 110 Kilometer und 3,5 Etappen werden es am Ende gewesen sein.

Mein erklärtes Ziel: Entdecken, was mir bisher verborgen blieb, weil ich mit dem Auto oder ÖV jeweils nur bekannte Destinationen ansteuerte. Ich will das «Dazwischen» sehen. Und herausfinden, ob dieses Dazwischen ein wundes Füdli vom Velosattel wert ist.

Darum fahre ich vom Bahnhof Stein am Rhein nicht in dessen malerische Altstadt, sondern direkt zum Untersee, ans Wasser. In der Luft liegt der Geruch von frisch gemähtem Gras, Flieder und Entdeckergeist.

Immer mit Seesicht: der Veloweg am Untersee.

Immer mit Seesicht: der Veloweg am Untersee.

Bild: Aylin Erol

Sorglos EU-Aussengrenzen überqueren

Am Untersee passiere ich Dörfer, in denen nicht nur vorzügliche Restaurants und Cafés zu finden sind. Etwa das Gottlieber Seecafé, wo die Gottlieber Hüppen herkommen. Auch die Dorfkerne selbst sind sehenswert. Die Gassen sind eng. Die Gärten üppig. Die Riegelhäuser gepflegt. Und daneben schimmert der Bodensee türkis.

Impressionen vom Bodenseeradweg

13 Bilder

Bilder: Aylin Erol

Statt wie viele Touristen kurz vor Konstanz Schloss Salenstein oder das Napoleonmuseum auf dem Arenenberg zu besuchen, lerne ich auf zwei Rädern erstmals, wie velofreundlich meine Region ist. So gibt es Restaurants, die mit «E-Bike-Ladestationen» werben. Und bei Tägerwilen eine saubere öffentliche Toilette, direkt am Radweg. Inklusive Velopumpstation.

Die öffentliche Toilette bei Tägerwilen direkt am Bodenseeradweg.

Die öffentliche Toilette bei Tägerwilen direkt am Bodenseeradweg.

Bild: Aylin Erol

Von Tägerwilen gehts kurz nach Deutschland, über Konstanz, nach Kreuzlingen. Dass ich hier gleich zwei Mal eine EU-Aussengrenze überquere, merke ich gar nicht. Dann bin ich am grossen, weiten Obersee.

Mit jedem Kilometer näher an meinem Tagesziel verschwimmt das deutsche Festland auf der anderen Seite zunehmend. Der Veloweg verläuft über weite Strecken parallel zur Hauptstrasse und zu Wanderwegen. Das ist praktisch. Die vielen Velos, Fussgänger und Autos kommen sich so nicht in die Quere.

Auf der Schweizer Oberseeseite ist der Veloweg breit genug, um bequem an entgegenkommenden Velos vorbeizukommen.

Auf der Schweizer Oberseeseite ist der Veloweg breit genug, um bequem an entgegenkommenden Velos vorbeizukommen.

Bild: Aylin Erol

Ab nach Deutschland

Über die Seepromenaden von Romanshorn und Arbon finde ich schliesslich nach Rorschach. Dort fährt mein Schiff, auf das ich das Velo problemlos laden kann. Es geht nach Deutschland. Genauer: nach Lindau. Die Stadt, die grösstenteils auf einer Insel erbaut wurde, gehört zu Bayern. Das lässt sie auch alle Ankommenden wissen. Stolz begrüsst das Hotel Bayerischer Hof die Besuchenden direkt am Hafen.

Blick auf Lindau vom Schiff aus, wo man deftige bayerische Küche erwarten darf.

Blick auf Lindau vom Schiff aus, wo man deftige bayerische Küche erwarten darf.

Bild: Aylin Erol

In Lindau falle ich müde ins Bett. Übernachtungsmöglichkeiten gibt es hier zum Glück viele, vom Nobelhotel bis zum einfachen Bed & Breakfast. Viele Unterkünfte besitzen zudem Velogaragen. Ansonsten kann man im Parkhaus P4 Fahrradboxen mieten.

Erst am nächsten Morgen schaffe ich es, Lindau zu erkunden und meinen Blick über den See auf die Schweizer und österreichischen Berge schweifen zu lassen. Ein guter Entscheid. Noch hat nämlich kein Schiff angelegt und damit Touristen angeschwemmt. Die Insel mit seinen bemalten Häusern liegt ruhig vor mir.

Als die Stadt langsam erwacht, setze ich mich wieder aufs Velo. Jetzt wird es strenger als auf der Schweizer Seite, wo die Route mehrheitlich flach verlief. Hier führt der Radweg stetig hinab, zum Seeufer, und wieder hinauf, in die Dorfkerne.

Doch das Strampeln lohnt sich. Die Dörfer wetteifern mit ihren Häfen, Gärten, Märkten, Biergärten, alten Kirchen und Schlössern um die Aufmerksamkeit der Touristen. Ferienwohnungen und «Weinstüble» gibt’s en masse. Und auch Bauern wissen den Tourismus zu nutzen. Direkt am Radweg verkaufen sie in Hofläden Erdbeeren, Gemüse und Most.

Ein Erdbeerstand in einem der Dörfer nach Lindau.

Ein Erdbeerstand in einem der Dörfer nach Lindau.

Bild: Aylin Erol

Das Bodenseeradweg-Männchen ist plötzlich weg

Kurz nach Kressbronn findet meine Begeisterung für die deutsche Bodenseeseite allerdings ihr jähes Ende. Ich gerate weg vom Seeufer und auf die Hauptstrasse. Autos überholen mich unangenehm schnell und nah. Es ist laut und stinkt nach Abgas. Dabei gäbe es durchaus einen etwas längeren Seeweg. Doch das Bodenseeradweg-Männchen war plötzlich unauffindbar. Stattdessen hatten andere Schilder mir diesen Weg gewiesen.

Entzaubert komme ich darum in Friedrichshafen an, wo ich nicht lange bleibe. Auch diese Stadt kenne ich bereits. Viele besuchen hier gerne das Zeppelinmuseum und bummeln von Laden zu Laden.

Das Schloss Meersburg wacht stolz über seine Rebberge.

Das Schloss Meersburg wacht stolz über seine Rebberge.

Bild: Aylin Erol

Ab Friedrichshafen verläuft die Strecke dafür wieder mehr dem See entlang. Ich lasse mich von der einladenden Altstadtkulisse der Weindörfer Immenstaad und Hagnau besänftigen. Dann begrüsst mich auch schon das Schloss von Meersburg. Die bunte, belebte Stadt ist der perfekte Schluss für diese Reise. Hier kann ich Burg, Schloss und Altstadt erkunden, bis es am Abend mit dem Schiff wieder auf die andere Seeseite geht.

In Konstanz ist die Reise vorbei. Ich muss lächeln. Nehme mir vor, auch noch die anderen Etappen des Bodenseeradwegs abzufahren. Und zwar bald. Schön war’s. Und das wunde Füdli allemal wert.

1 Kommentar
Elly Schickli

Sehr gut beschrieben, habe alles mit Freude gelesen. Wohne auch ein paar km vom See weg. Habe ich aber 40 Jahre in Rorschacherberg direkt am See gewohnt. Es war eine wunderbare Zeit. Nochmals vielen Dank für den Reisebeschrieb Elly