Mit dem Avenger hat die Offroad-Traditionsmarke ihr erstes E-Auto in Europa im Angebot. Der Kleine taugt aber eher für die Stadt.
Die Marke Jeep ist eine Ikone –und für viele der Inbegriff eines Geländewagens. Doch die Marke trägt inzwischen auch einen gewissen Zwiespalt in sich. Da ist einerseits die von den Marketing-Leuten gerne zitierte «DNA» der Marke; sie reicht zurück bis zum Willys-Jeep der US-Armee aus dem Jahre 1942. Jeep steht für echte Offroader, die sich durch jedes Gelände wühlen. Gebaut aus solidem, amerikanischem Stahl. Auf der anderen Seite steht die jüngere Geschichte der Marke. Als Teil der ehemaligen FCA- Kooperation ist Jeep nun ein Teil der Stellantis-Gruppe, in der ansonsten nur europäische Traditionsmarken vereinigt wurden: Peugeot, Citroën, DS, Opel, Fiat und Lancia. Sie alle haben eine deutlich andere «DNA» als die US-Offroad-Legende. In diesem Spannungsfeld muss sich die Marke behaupten, was sich auch am Modellangebot ablesen lässt: Hier treffen die beiden Welten aufeinander. Der Wrangler als rauer und kompromissloser Offroader verkörpert das Erbe des Willys-Jeep, der Grand Cherokee stellt die jüngste Evolution der langen Jeep-Ahnenreihe grosser und komfortabler SUV dar. Sie beide werden –selbstverständlich – in den USA entwickelt und gebaut.
Darunter hat Jeep inzwischen ein beachtliches Modellportfolio aufgebaut; Modelle wie der Renegade oder der Compass werden in Europa hergestellt und basieren auf Plattformen aus der FCA respektive Stellantis Gruppe und sind klar auf den europäischen Markt zugeschnitten. Diese Anpassung treibt Jeep nun mit dem neuen, in Polen gebauten Avenger auf die Spitze. Der kompakte Crossover ist das erste rein elektrische Modell der Marke; in einigen Märkten wie Italien oder Spanien ist der kleinste Jeep auch mit einem Benzinmotor zu haben, bei uns bleibt es aber bei der reinen Elektroversion – die ist schliesslich dringend nötig, um den CO2-Flottenausstoss zu senken – und die Ziele für die Zukunft zu erreichen: «Bis 2030 wird Jeep in Europa 100% elektrisch sein», verspricht Christian Meunier. Der Franzose ist seit 2021 CEO von Jeep. Die Flexibilität in Sachen Antrieb verdankt der Kleine Jeep – er ist mit Ausnahme des Willys sogar der kleinste Jeep bisher – der neuen e-CMP2-Plattform aus der Stellantis-Gruppe, die künftig auch für Kleinwagen von Peugeot, Citroën & Co zum Einsatz kommen wird. Im Unterboden sitzt ein Akku mit 51 kWh Netto-Speicherkapazität; das reicht für 394 km Reichweite laut WLTP-Messung. Der Antrieb erfolgt über eine E-Maschine mit 156 PS/ 260 Nm, die – und hier müssen die US-Jeep-Fans stark sein – ausschliesslich die Vorderräder antreibt; eine Allrad-Version könnte 2024 folgen. Derzeit bleibt es aber beim Fronttriebler. Und hier können auch die ordentliche Bodenfreiheit von 20 Zentimetern und die Fahrprogramme für Sand, Schlamm und Schnee nicht darüber hinwegtäuschen: Der Avenger ist ein Jeep, der sich auf befestigten Pfaden am wohlsten fühlt – und wohl auch ausschliesslich da zum Einsatz kommen wird. Dort macht er seine Sache aber durchaus gut. Das Fahrwerk macht sich die hohe Bodenfreiheit und die langen Federwege zunutze und kommt auch mit schlechtem Belag gut zurecht. Dass man in Kurven gut spürbare Seitenneigung in Kauf nehmen muss, stört in diesem Crossover nicht, zumal er dank der tief im Unterboden platzierten Akkus und der präzisen Lenkung gut zu handhaben ist.
Das Platzangebot ist im Innenraum der Grösse entsprechend; von einem Auto ähnlicher Grösse wie ein VW Polo darf man freilich keine Wunder erwarten. Trotzdem ist die Rückbank auch für erwachsene noch brauchbar, der Kofferraum ist mit 355 Litern Volumen ebenfalls alltagstauglich. Auf dem Fahrersitz erfreut man sich einer bequemen Sitzposition. Dank der kompakten Abmessungen und der kantigen Karosserieform ist auch die Übersicht top, was gerade in der Stadt angenehm ist. Mit der neuen Technik aus der Stellantis-Gruppe hält auch ein neues Touchscreen-Infotainmentsystem samt digitalen Instrumenten Einzug. Alle Anzeigen lassen sich problemlos ablesen und auch die Bedienung gestaltet sich simpel. Störend wirkt im Innenraum nur die Wahl der Materialien: Man ist buchstäblich umgeben von hartem Plastik. Das ist zwar akkurat verarbeitet, wirkt aber alles andere als hochwertig, erst recht beim Anfassen. Der Funktion tut dies keinen Abbruch; beim Blick auf die Preisliste erstaunt die Materialwahl aber: Der Jeep Avenger startet ab 37 990 Franken. Dafür kriegt man einen guten und angenehmen Stadtwagen, der die Jeep-Historie aber mehr zitiert, als sie wirklich zu leben. Reichweite und Ladeleistung sind alltagstauglich, aber nicht herausragend. Somit kann man den Avenger als Anfang sehen, eine Allradversion und weitere Modelle mit echtem Offroad-Talent müssen aber folgen, wenn die Marke ihre Tradition weiterleben will – und damit auch die grosse Fangemeinde weiter zufriedenstellen will. Schliesslich verspricht CEO Christian Meunier: «Wir werden die Jeep-DNA für immer am Leben halten.»