Fluglärm
Ein Nachtflugverbot am Euro-Airport würde 1000 Jobs kosten

Unter einer verlängerten Nachtruhe am Flughafen würde die Expressfracht stark leiden, der Passagierverkehr indes kaum.

Hans-Martin Jermann
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Mit einem Marktanteil von 60 Prozent ist Easyjet derzeit die bedeutendste Airline am Basler Flughafen. Anwohner sind überzeugt: Easyjet würde auch bei einem strengeren Regime in der Nacht nicht wegziehen.

Mit einem Marktanteil von 60 Prozent ist Easyjet derzeit die bedeutendste Airline am Basler Flughafen. Anwohner sind überzeugt: Easyjet würde auch bei einem strengeren Regime in der Nacht nicht wegziehen.

Kenneth Nars

Das Risiko einen Herzinfarkt zu erleiden, steigt für Anwohner von Flughäfen schon bei geringem Durchschnittslärm als bisher angenommen. Dieses neue Forschungsergebnis befeuert die Debatte um ein längeres Nachtflugverbot am Euro-Airport Basel-Mulhouse (EAP). Anwohnerverbände und die Kantonsparlamente beider Basel fordern seit Jahren eine Ausdehnung der Nachtflugsperre von heute 24 bis 5 Uhr auf 23 bis 6 Uhr, wie sie der Flughafen Zürich-Kloten kennt.

Doch welche Auswirkungen auf das Gedeihen des Flughafens hätten kürzere Betriebszeiten? Aktuelle Fakten gibt es nicht. Hinweise gibt eine vom EAP in Auftrag gegebene sozioökonomische Impaktstudie von 2009, deren Ergebnisse bisher kaum diskutiert wurden.

Easyjet könnte sich anpassen

Das erstaunliche Fazit: Zumindest beim Passagiertransport seien die Auswirkungen einer um insgesamt zwei Stunden verlängerten Nachtruhe «begrenzt», schreibt die Londoner Firma Steer Davis Gleaves, Spezialistin für Beratungen im Transportwesen. An anderer Stelle heisst es, dass sich Easyjet – mit einem Marktanteil von 42 Prozent bereits 2009 Platzhirsch am EAP – an kürzere Betriebszeiten «voraussichtlich anpassen» könne. Dasselbe gelte für die anderen Airlines. Für die Expressfracht, die vor allem zu Randstunden abgewickelt wird, wäre eine längere Nachtflugsperre gemäss Studie hingegen geradezu katastrophal. Demnach würden die transportierten Luftfrachttonnen in den Folgejahren um zwei Drittel einbrechen. Mehr als 1000 Jobs gingen verloren, der Wertschöpfungsverlust läge in dreistelliger Millionenhöhe. Dies, weil Expressfrachtfirmen den EAP verlassen würden.

Doch welchen Wert haben die Studienergebnisse heute noch? Klar ist: Der EAP ist nicht mehr der selbe Flughafen wie 2009. Fracht- und Passagierverkehr haben markant zugenommen, letzterer von 4,2 Millionen Passagieren 2008 auf 7,3 Millionen 2016. Easyjet verfügt mittlerweile über einen Marktanteil von 60 Prozent, am Flughafen ist ein neues Cargoterminal erstellt worden. «Zudem hat die Bedeutung der Randzeiten weiter zugenommen», sagt Claus Wepler, Generalsekretär und Flugverkehrsachverständiger im Basler Departement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt. Allerdings: An den Auswirkungen einer längeren Nachtruhe wird sich grundsätzlich wenig geändert haben. Dies bestätigen mehrere flughafennahe Quellen, die nicht zitiert werden wollen.

Die Gefahr eines Passagierverlusts sei nicht plausibel, findet der Binninger Arzt und Schutzverbandsmitglied Hans Göschke: «In Zürich ist die Nachtflugsperre vor wenigen Jahren ebenfalls verlängert worden – die Passagierzahlen haben trotzdem zugenommen.» Auch die Binninger Grünen-Landrätin Rahel Bänziger ist überzeugt: Um zwei Stunden verkürzte Betriebszeiten hätten für den EAP keine gravierenden Konsequenzen. Natürlich wollten Easyjet und andere Gesellschaften so viele Rotationen am Tag wie möglich fliegen. Aber was, wenn es allenfalls eine weniger würde? «Easyjet müsste sich wohl etwas umorganisieren, aber das Angebot am EAP kaum grundsätzlich infrage stellen. Wo will Easyjet denn hin?», fragt sie rhetorisch. Schliesslich würden an den nächstgelegenen Flughäfen gleich strenge oder noch strengere Betriebszeiten gelten.

Novartis braucht frühe Flüge nicht

Zugleich bezweifelt Bänziger, dass ein strengeres Nachtflugverbot beim Frachtverkehr die regionale Wirtschaft schädigen würde. Sie habe die Geschäftsleitung von Novartis gefragt, ob die Firma auf Frachtflüge angewiesen sei, die um 5 Uhr am EAP landen. «Die Antwort von Novartis lautete: ‹Nein, die brauchen wir nicht›», berichtet Bänziger. WSU-Generalsekretär Wepler bestätigt dies indirekt: Die Produktion der hiesigen Industrie werde in der Regel via die fünf Vollfrachtlinienflüge abgewickelt – diese verkehren tagsüber. Für die Expressfracht wie Briefe und Pakete seien die Randzeiten hingegen essenziell. Der EAP sei in eine Logistikkette mit Hubs in Deutschland eingebunden. Fragt sich allerdings, wie wichtig ein florierender Internet-Handel für die regionale Wirtschaft ist.

Beim EAP zeigte man bisher wenig Lust an einer breiten Debatte über die in der Studie thematisierten Konsequenzen einer längeren Nachtruhe. Vielleicht, weil die Ergebnisse für den Flughafen wenig vorteilhaft waren? Davon ist Hans Göschke überzeugt: «Die Studie wurde vom Flughafen und von den Regierungen wenn immer möglich ignoriert.» EAP-Sprecherin Vivienne Gaskell betont demgegenüber, dass die in der Studie thematisierten Grundlagen aufdatiert würden – und zwar noch dieses Jahr. Dass sich der EAP-Verwaltungsrat, in dem Regierungsvertreter beider Basel sitzen, aufgrund neuer Zahlen zu einer längeren Nachtflugsperre durchringen werden, darf bezweifelt werden. Für Basel-Stadt sagt Claus Wepler: «Wir stehen zu den heutigen Betriebszeiten und sind überzeugt, dass der Schutz der Bevölkerung auch mit anderen Massnahmen verbessert werden kann.»