Comic
Ein Zeichner ohne Grenzen – der französische Comicautor Joann Sfar im Cartoonmuseum Basel

Das Cartoonmuseum Basel zeigt die unersättliche Welt des französischen Comicautors Joann Sfar. Eine Ausstellung die den Mann mit Zeichenstift nicht nur wunderbar zeigt, sondern mindestens ebenso verkörpert.

Naomi Gregoris
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Vom philosophischen Comic bis hin zum poetischen Aquarell: Joann Sfar zeichnet unermüdlich und in allen Variationen.
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Joann Sfar

Vom philosophischen Comic bis hin zum poetischen Aquarell: Joann Sfar zeichnet unermüdlich und in allen Variationen.

zvg

«Du musst hinschauen, beobachten und dann malen» sagt der spanische Designer Javier Mariscal und blickt gespielt vorwurfsvoll auf den Zeichenblock des Mannes vor ihm. Der Andere lacht. Sie stehen auf der Terrasse der Stiftung Joan Miró: ein Designer und sein ihn abzeichnender, vermeintlicher Schüler. «Du hast zu viel Fantasie!», sagt Mariscal. «Für dich ist die Wirklichkeit mehr so...» – er macht eine abwiegelnde Geste mit seiner Hand, die ein Zwischendrin suggeriert, ein Weder-Noch, ein Spiel. Der Andere lächelt wieder und stimmt zu.

Nagel auf den Kopf getroffen. Aber eine Kritik ist es nicht. Denn genau diese Auffassung der Wirklichkeit ist es, was ihn, Joann Sfar, zu einem der erfolgreichsten Comiczeichner der Welt macht.

Joann Sfar ist 1971 in Nizza geboren. Mit dreieinhalb wird er Halbwaise, für seine Erziehung sorgen fortan der Vater, ein sephardischer Jude mit nordafrikanischen Wurzeln, und sein polnischer Grossvater mütterlicherseits. Die beiden Männer verheimlichen dem kleinen Joann mehrere Jahre lang den Tod seiner Mutter und lassen ihn im Glauben, sie sei verreist. Eine nie ganz überwundene Familienlüge, die Sfar noch lange prägen wird. Und für die er nach seinem Philosophiestudium schliesslich ein Ventil findet: Das Zeichnen.

Nach Abschluss schreibt er sich in die Pariser Kunsthochschule ein und beginnt, sich mit seinem jüdischen Erbe auseinanderzusetzen. Sfar bedient sich Fabelwesen der Ashkenasi, osteuropäische Juden wie sein Grossvater einer war, um Geschichten über das Judentum zu erzählen, die über die übliche Romantisierung hinausgehen.

Sfar will das Jüdische wegholen von Stilisierungen, die im Comic stets in verführerischer Nähe lauern. 2002 gelingt ihm das mit für einen Comiczeichner unglaublichem internationalen Erfolg: Der erste Band von «Die Katze des Rabbiners» macht den Franzosen zum Star. Seither verkauft sich jeder Band der Comicserie um die wortgewandte Katze eines Rabbiners im Algier der Zwanzigerjahre in Frankreich um die 100'000 Mal.

Gezeigt und verkörpert

Grund genug, die Lorbeeren zu geniessen, würde man meinen. Doch Sfar ist keiner, der sich ausruht. In jeder freien Minute zeichnet er, entwirft und ergänzt ununterbrochen. Seine Geschichten sollen sich entwickeln dürfen, immer wieder und in alle Richtungen. Sfar verarbeitet darin die Welt, die ihn umgibt, seine Geschichten speisen sich aus Erlebtem und Erfundenem, aus Wirklichkeit und Fiktion. Alles fliesst ineinander über. Über 200 Bücher soll er veröffentlicht haben, dazu kommen Romane und Filme, wie etwa das Biopic «Gainsbourg» (2010), für den er den César-Filmpreis bekam.

«Man ist eigentlich nie schnell genug», sagt Anette Gehrig, «sobald man eine Arbeit von Joann Sfar sieht, ist er bereits wieder zehn Zeichnungen weiter.» Die Kuratorin und Leiterin des Cartoonmuseums Basel stellte sich dem zeichnerischen Kosmos des Franzosen trotzdem – und hat eine Ausstellung gemacht, die den herumwirbelnden Mann mit Zeichenstift nicht nur wunderbar zeigt, sondern mindestens ebenso verkörpert. In dicht mit Zeichnungen und musikalischer Untermalung bepackten Räumen lässt sie Sfar durch seine Geschichten sprechen.

Sie spart keine der wichtigen Stationen und Wesensmerkmale aus: Sfar der Erfolgszeichner, aber auch Sfar der Filmregisseur, Philosoph, Künstler und Kritiker politischen Weltgeschehens. Der grosse Bewunderer von Sempé, mit dem er seine wichtigste thematische Triebfeder teilt: Die nie vollständig überwindbare Einsamkeit des Menschen. Und – ganz wichtig und durch die ganze Ausstellung präsent: Sfar der Kinderfreund. «Kinder- und Jugendliteratur ist für mich die grösste Literatur», sagte er einmal in einem Interview mit France Culture. Es gäbe nichts Schöneres, nichts Schwierigeres, nichts Ernsteres, Tiefergehendes, rien de plus grave, als Kindern Geschichten zu erzählen.

Als Sfar damals in Barcelona mit seinem Freund Javier Mariscal noch in ein Restaurant einkehrt, (übrigens für die Arte-Serie «Durch die Nacht mit...» und etwas früher im Artikel eingebettet), hält Mariscal während des Essens eine Miesmuschel hoch. «Irgendwann kommt im Leben jedes Kindes der Moment, in dem es begreift: Das ist kein Flugzeug, das ist eine Miesmuschel. Aber bei uns», Mariscal hebt seinen Zeigefinger. «Bei uns ist das anders!» Sfar nickt lächelnd. Das Spiel ist nie vorbei.

Joann Sfar. Sans début ni fin Bis 11.8., Cartoonmuseum Basel.