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Kaum ein Land hat so viele Verkehrstote zu beklagen wie Thailand. Die Regierung versucht mit makaberen Kampagnen, dem Blutvergiessen ein Ende zu machen. Trotzdem steigen die Opferzahlen.
Sieben Tage, 463 Tote: Das ist die blutige Bilanz der Verkehrsunfälle zu Neujahr in Thailand. Zwischen dem 27. Dezember und dem 2. Januar starben dort fast exakt doppelt so viele Menschen im Strassenverkehr wie im gesamten Jahr 2017 in der Schweiz (230 Tote). Damit ist das 70-Millionen-Land wieder einmal seinem traurigen Ruf gerecht geworden, die Nation mit den tödlichsten Strassen weltweit zu sein.
Nur für Libyen verzeichnet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mehr Tote im Verkehr. Doch werden dort auch Opfer der anhaltenden, bürgerkriegsähnlichen Gewalt zu den Verkehrstoten gerechnet, was die Statistik verzerrt.
Etwa 23'000 Menschen sterben jedes Jahr auf Thailands Strassen. Dass es zum Jahreswechsel und zum im April stattfindenden Songkran-Fest besonders blutig wird, ist bekannt: Dann reisen viele Thailänder in ihre Heimatprovinzen, zwängen sich in überfüllte Minibusse, drängen sich zu dritt oder auch zu viert auf Mopeds.
Schon Wochen vor den Feiertagswochen, die in Thailand jeweils die «sieben gefährlichen Tage» genannt werden, schaltet die Regierung Fernsehspots und Anzeigenkampagnen, in denen vor den Folgen von Trunkenheit am Steuer und überhöhter Geschwindigkeit gewarnt wird. Nachrichtensender bringen Reportagen über Sargtischler, die in Vorbereitung Überstunden schieben. Doch die Bemühungen greifen nicht. Der Zähler für die aktuellen Verkehrstoten, der während der Reisezeit live im Fernsehen eingeblendet wird, steigt stetig. Dieses Jahr lag die Opferzahl über Neujahr etwa zehn Prozent über der vom Vorjahr.
Als Gründe für das Gefahrenpotenzial auf Thailands Strassen führen diverse Experten einerseits Leichtsinn, andererseits mangelnde Kontrolle an: Tatsächlich gilt betrunkenes Autofahren bei vielen Thailändern als Kavaliersdelikt. Laut WHO ist Trunkenheit am Steuer für etwa die Hälfte der Karambolagen verantwortlich. Auch die Tatsache, dass nur wenige Motorrad- und Mopedfahrer Helm tragen, hat tragische Folgen. Etwa drei Viertel der Verkehrstoten in Thailand waren per Zweirad unterwegs, als sie starben, ermittelte die Weltgesundheitsorganisation. Zwar gilt seit dem Jahr 2012 auch in Thailand auf dem Motorrad Helm- und im Auto Anschnallpflicht, doch die wenigsten Bürger halten sich an diese Vorschriften. Dass sie damit durchkommen, liegt an der laxen Arbeit der Polizei. Die Polizei schaut bei Verkehrsdelikten regelmässig weg und kassiert allenfalls ein Schmiergeld, um Übeltäter weiterfahren zu lassen. Wird doch einmal ein Verstoss geahndet, sind die Strafen lachhaft gering und haben so keinen Abschreckungseffekt. So kam der Fahrer eines Pick-ups, der 2014 zwei britische Fahrradtouristen überfuhr und tödlich verletzte, mit einer Busse von umgerechnet 30 Franken davon.
Seit dem Jahr 2016 verhängt die Justiz zwar die drastische Strafe, betrunken am Steuer erwischte Fahrer zu Aushilfsarbeiten in den städtischen Leichenschauhäusern zu verdonnern. Dabei müssen die Verurteilten beim Transport der Leichen helfen und Gerätschaften waschen und sollen dabei über ihre Fahrlässigkeit reflektieren. Doch obwohl inzwischen Tausende das Programm durchlaufen haben, steigen die Opferzahlen weiter.
Paradoxerweise hat Thailands Verkehrsproblem seine Wurzeln im robusten Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahrzehnte: Der Staat hat viel Geld in den Ausbau des Strassennetzes gesteckt. Thailand, das von Nord nach Süd stolze 1700 Kilometer lang ist, wird von einem modernen Autobahn- und Landstrassennetz durchzogen. Wo in den Nachbarländern unzählige Schlaglöcher die Geschwindigkeit natürlich begrenzen, lässt es sich in Thailand prächtig rasen.
Dank des Booms konnten sich viele Thailänder in der vergangenen Dekade ein erstes Auto anschaffen. Doch neue Wagen auf guten Strassen werden dann zur Waffe, wenn die Besitzer nicht wissen, wie man Auto fährt: Ein Grossteil der Thailänder fährt ohne Führerschein, und selbst die, die einen vorweisen können, erhalten den meist ohne jede Schulung gegen die Zahlung einer kleinen Gebühr.