Umweltminister
AKW schliessen, Verbrennungsmotoren verbieten: Das ist der Realo, der Frankreich wachrüttelt

Vor ihm zittern Auto- und Atomlobby: Umweltminister Nicolas Hulot will in Frankreich Atomkraftwerke schliessen und Verbrennungsmotoren verbieten.

Stefan Brändle, Paris
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«Wollen wir weitermachen wie bisher oder die Energiewende durchziehen?», fragt Umweltminister Nicolas Hulot.

«Wollen wir weitermachen wie bisher oder die Energiewende durchziehen?», fragt Umweltminister Nicolas Hulot.

Keystone

Grüne Gegenspieler nennen ihn herablassend «Duschgel-Kandidat». Der TV-Produzent Nicolas Hulot verdankt seine Bekanntheit seiner Natursendung «Ushuaïa», die nach der südlichsten Stadt Argentiniens und des Planeten benannt ist. Dafür kämpfte er sich durch Vulkankrater und Eismeere; er schwamm durch Quallen-Nester und spielte mit Gorilla-Familien. Noch gewagter war, dass er eine Körperpflegelinie namens Ushuaïa lancierte.

Auch deshalb zog ihm die grüne Partei EELV in einer Urabstimmung im Jahre 2012 die militantere Präsidentschaftskandidatin Eva Joly vor. In den Beliebtheitsumfragen blieb der Mann mit den wirren Stirnfransen aber einer der populärsten Franzosen. Als Emmanuel Macron vor gut zwei Monaten Staatschef wurde, betraute er Hulot mit dem Dossier des «sozialen und solidarischen Übergangs». Der einflussreiche Staatsminister steht damit den Ressorts Umwelt und Energie vor – und damit nicht zuletzt der «Electricité de France» (EDF), dem allmächtigen Staatskonzern, der den französischen Park von 58 Atomreaktoren betreibt.

Mit der EDF erbt der dreifache Familienvater die gesamte Atompolitik Frankreichs. Zum Beispiel den in Bau befindlichen Druckwasserreaktor EPR in Flamanville (Normandie). Solange dieser Reaktorblock der neuen AKW-Generation nicht fertig ist, kann die französische Regierung nicht einmal das älteste französische AKW, Fessenheim im Elsass, abschalten, wie das Ex-Präsident François Hollande und neu auch Macron versprochen haben.

Nicht Politik, sondern Mathe

«Hulot sind die Hände gebunden», unterstellen ihm viele Grüne und bezeichnen ihn als blossen Statisten der Regierung. Umso grösser war die Überraschung, als der nette Öko-Einzelgänger vor ein paar Tagen rundheraus erklärte, Frankreich werde «vielleicht 17 Atomkraftwerke schliessen». Mit dem Wörtchen «vielleicht» schränkte Hulot nur ein, dass die Zahl noch leicht nach oben oder unten revidiert werden könnte – am Prinzip soll sich nichts ändern. Die Rechnung sei einfach, meint der Minister: Da Macron wie zuvor Hollande den Atomanteil an der Stromproduktion bis 2025 von 75 auf 50 Prozent senken wolle, müsse er 17 Meiler stilllegen. Das sei keine Frage der Energiepolitik, sondern der Mathematik.

Das Netzwerk «Sortir du nucléaire» («die Atomkraft aufgeben») freut sich: «Erstmals haben wir eine präzise Zahl und eine Regierung, die das Dogma der Nicht-Schliessung von Atomkraftwerken aufbricht.» Auch die übrigen Franzosen sind verblüfft: Keine offizielle Stelle hatte bisher auszusprechen gewagt, was die präsidialen Energievorgaben konkret bedeuten. «Alle hielten die Augen geschlossen», meint Hulot selber. «Die Leute sind zwar für die Idee der Ökologie und des Kampfes gegen die Klimaerwärmung. Aber die meisten sind gegen die Änderungen, die damit verbunden sind.»

Angriff auf die heiligen Kühe

Das zeigten auch die Reaktionen der Nuklearbefürworter. Der nationale Rechnungshof eruierte, dass Frankreich 5,6 Milliarden Euro an Stromverkäufen verlieren würde, wenn 17 Reaktoren abgeschaltet würden. Ein Atomphysiker rechnete zudem vor, dass Frankreich als Ersatz nicht weniger als 26 121 Windkraftwerke bauen müsste.

Hulot lässt sich nicht beeindrucken. Er sagt im Gegenteil, Frankreich müsse bis 2040 auch sämtliche Verbrennungsmotoren im Autoverkehr eliminieren, um die Klimavorgaben einzuhalten. Die Franzosen mussten zweimal hinhören: will «Monsieur Hulot» – wie er in Anlehnung an die Slapstickfigur des Regisseurs Jacques Tati («les vacances de Monsieur Hulot») genannt wird – gleich alle fossilen Treibstoffe im Strassenverkehr untersagen? Also 98,8 Prozent aller Autos inklusive Hybridmotoren?

Die Autohersteller heulen wie die Atomindustriellen auf. Das sei doch technischer Unfug, meinen sie unisono: Man könne nicht voll auf Elektromotoren setzen und zugleich den Atomstrom kappen, der in Frankreich 75 Prozent der Elektrizität liefere. Hulot antwortet immer noch seelenruhig, Länder wie Indien oder Südkorea, aber auch Hersteller wie Volvo wollten die Brennmotoren schon weit vor 2040 aufgeben. Neue Batterien würden sehr rasch entwickelt, führt er aus; auch dem Wasserstoff gehöre die Zukunft.

Seinen Landsleuten stellt Hulot eine simple Frage: «Was wollen wir eigentlich?» Wollen wir, so führt er aus, weitermachen wie bisher — oder die vor fünf Jahren begonnene Energiewende wirklich durchziehen? Die Frage zielt ins Herz der Debatte. Denn die Franzosen heissen Hollandes und Macrons Energiepolitik durchaus gut – bloss scheinen sie selber nicht recht daran zu glauben.

Mit diesem fundamentalen Widerspruch konfrontiert sie nun Hulot. Möglich, dass sich der Minister mit dem Mao-Hemd an EDF und dem Atomkonzern Areva, an Renault und Peugeot die Zähne ausbeissen wird. Hulot geht das Risiko ein. Der einstige Ökoprediger von «Ushuaïa» will vor allem die Franzosen aufrütteln. Und eigentlich ist ihm der Überraschungsangriff auf die zwei heiligen Kühe der Nation – Atom und Auto – ganz gut gelungen.