Startseite
International
Neuer Premier in Tunesien wird Ali Laarayedh (57). Der Politiker der Islamistenpartei Ennahda war ein Opfer von Diktator Ben Ali. Er verbrachte 14 Jahre im Gefängnis und wurde gefoltert.
«Tunesiens Mandela» soll die Regierungsgeschäfte in Tunesien übernehmen. Der bisherige Innenminister Ali Laarayedh wurde von der Ennahda-Partei zum Nachfolger des Anfang Woche zurückgetretenen Premiers Hamadi Dschebali erkoren. Präsident Moncef Marzouki wollte den Vorschlag der Islamisten noch gestern annehmen.
Der 1955 in Médenine geborene Ali Laarayedh war von 1981 bis zu seiner Verhaftung Ende 1990 Generalsekretär der Islamistenpartei Ennahda. Seine Probleme mit dem Regime begannen bereits unter Präsident Habib Bourguiba in den 1980er-Jahren. Laarayedh wurde regelmässig von der Polizei und Regierungsbeamten wegen seiner Zugehörigkeit zur damals verbotenen Islamistenpartei drangsaliert.
Nach dem blutlosen Putsch, der Ben Ali Zine el-Abidine 1987 an die Macht brachte, wurde Ali Laarayedh am 23. Dezember 1990 durch ein Militärtribunal zu 15 Jahren Haft verurteilt und im berüchtigten «9. April»-Gefängnis in Einzelhaft gesteckt. Er und seine Familie wurden mehrfach gefoltert. Laut der Pariser Menschenrechtsorganisation «Ban Public» erhielt seine Familie auch mehrere Todesdrohungen.
Laut dem Jahresbericht der International Federation of Human Rights (FIDH) von 1999 wurde Laarayedhs Ehefrau Wided Lagha von Beamten des tunesischen Innenministeriums sexuell missbraucht. Der Bericht erwähnt, sie sei nackt auf Video aufgenommen worden und habe später deswegen Depressionen erlitten.
Keine Gefahr für Bikini-Touristen
Laarayedh und seine Familie wurden bis Anfang 2011 von der Regierung scharf überwacht. Nach 14-jähriger Haftstrafe plagte ihn die notorische tunesische Geheimpolizei weitere sechs Jahre lang.
Nach dem Ausbruch des Arabischen Frühlings in Tunesien trat Laarayedh wieder der Ennahda-Partei bei. Als einer der wenigen überlebenden Führer der jahrzehntelang verfolgten Islamistenpartei stieg er Anfang 2011 in den erlauchten Kreis glaubwürdiger politischer Führer für den angestrebten Neuanfang in Tunesien auf. Seither versucht er der Islamisten-Partei ein moderates Image zu geben. Er betonte etwa Anfang 2011 in einem Interview mit der «New York Times», die Jahre im Gefängnis hätten ihm die Wichtigkeit westlicher Werte bewusst gemacht. Er versprach damals, seine Partei sei keine Gefahr - weder für Tunesier noch für Touristen, «die in ihren Bikinis an den Stränden seines Landes französischen Wein nippten.»
Tatsächlich sind die politischen Überzeugungen von Laarayedhs deutlich liberaler als die anderer Islamistenführer, die seit dem Arabischen Frühling in Nordafrika in die Regierungsverantwortung gewählt worden sind. Eine starke anti-amerikanische Grundhaltung ist dem neuen tunesischen Premier war immer noch anzumerken. Laarayedh ist gegen die Einmischung der USA in der ganzen Region, er ist gegen die Stationierung von US-Truppen im Mittleren Osten.
Islam und Demokratie
Gegen den Modernismus wehrt Laarayedh sich aber nicht. Seine Partei hat eine Frauenquote im Parlament eingeführt, anders als andere Islamisten will er die Frauen nicht vom politischen Prozess ausschliessen. Das Experiment, wie Islam und Demokratie sich zusammen vertragen, geht mit Ali Laarayedh in die nächste Runde.