Der amerikanische Präsident steht mit dem Rücken zur Wand: In Washington bringt der bald 79-Jährige nichts zustande und im Land verlieren die Wählerinnen und Wähler das Vertrauen in ihn. Einen freut das ganz besonders.
Ein Bild geht um die Welt. Ausgerechnet am Weltklimagipfel, an dem Joe Biden demonstrieren wollte, dass Amerika die Gefahren der Erderwärmung ernst nimmt, schlief der Demokrat ein. Während der Rede eines Aktivisten aus Südafrika schloss der bald 79-jährige Präsident seine Augen – bis ein Berater ihn wieder in den Versammlungssaal in Glasgow zurückholte.
Für die Gegner des Präsidenten ist die Szene ein gefundenes Fressen. Sein Kontrahent bei der Präsidentenwahl vor einem Jahr, der Republikaner Donald Trump, verhöhnte ihn in einer Stellungnahme. Und konservative Kommentatoren von nah und fern sprachen von einem symptomatischen Vorfall. Sie stellen Biden schon lange als einen Mann dar, der den Anforderungen seines Amtes nicht gewachsen sei.
Aktuelle Umfragen deuten darauf hin, dass auch ein immer grösserer Teil der Bevölkerung so über ihren Präsidenten denkt. Der Rückenwind, den Biden nach seinem Wahlsieg am 3. November 2020 verspürte, ist weg. Und die Eigenschaften des Präsidenten, die bei seinem Amtsantritt am 20. Januar 2021 noch als Stärken Bidens bezeichnet wurden, überzeugen immer weniger Wählerinnen und Wähler.
So sagten in einer Umfrage des Fernsehsenders «NBC» gegen 40 Prozent der Befragten, der Präsident sei unfähig, eine Krise zu bewältigen. Auch fanden 35 Prozent, Biden besitze weder das Wissen noch die Erfahrung, das Amt des Präsidenten auszufüllen. 42 Prozent der Bevölkerung schliesslich finden, der Demokrat im Weissen Haus sei ein Spalter.
Nun handelt es sich dabei um eine Momentaufnahme, so wie das bei Meinungsumfragen stets der Fall ist. Aber der amerikanische Politbetrieb, in dem permanenter Wahlkampf herrscht, lässt keine Schwäche zu: Ein angeschlagener Präsident, der sich mit schwelenden Krisen konfrontiert sieht, läuft Gefahr, den Rückhalt seiner eigenen Partei zu verlieren – weil auch in den eigenen Reihen die meisten Abgeordneten bei der nächsten nationalen Wahl, die im Herbst 2022 stattfindet, bestätigt werden wollen.
Und tatsächlich deuten die Vorgänge in Washington darauf hin, dass Biden seine Durchsetzungsfähigkeit verloren hat. Seit Wochen schon streiten sich in der Hauptstadt linke und rechte Demokraten darüber, wie viele Milliarden Dollar sie in den Ausbau des Sozialstaates investieren wollen. Zur Abstimmung steht auch ein Infrastrukturpaket, das selbst von einigen Republikanern unterstützt wird.
Und obwohl der Präsident mehrmals mit einem Machtwort drohte, um die internen Debatten zu beenden, liegen die Vorlagen weiterhin auf Eis. Das ist schädlich für Biden, weil einzelne Teile seines blockierten Programms in der breiten Bevölkerung beliebt sind: Eine Pflegereform beispielsweise oder Investitionen in die Modernisierung des Stromnetzes.
Weil Biden aktuell die vorzeigbaren Erfolge fehlen, öffnet dies seinem Vorgänger die Tür für ein Comeback. Je mehr Zeit verstreicht seit dem äusserst turbulenten Ende von Trumps Amtszeit, desto besser sieht sein Leistungsausweis aus –zumindest in den Augen derjenigen Amerikanerinnen und Amerikaner, die sich nur mässig für Politik interessieren.
Hinzu kommt: Eigentlich ist Trump gar nie in den Ruhestand getreten. Nach wie vor tingelt er durchs Land, hält seine fanatischen Anhängerinnen und Anhänger bei Laune und kommentiert das Tagesgeschehen. Vor allem aber sammelt Trump Wahlkampfspenden ein, obwohl er bisher (auch aus rechtlichen Gründen) nicht offiziell verkündet hat, dass er bei der Präsidentenwahl 2024 erneut kandidieren will. Allein in der ersten Jahreshälfte 2021 nahm er mehr als 62 Millionen Dollar ein.
Mit dieser gut gefüllten Kriegskasse stellt Trump sicher, dass ihm niemand seine Rolle als Anführer der Republikaner streitig macht. Tatsächlich hat das Wort des Unternehmers immer noch Gewicht, gerade in innerparteilichen Auseinandersetzungen.
Es gibt aber zumindest Anzeichen dafür, dass sich unter Wechselwählern eine gewisse Trump-Müdigkeit breit macht. So setzte Glenn Youngkin, der republikanische Gouverneurskandidat im Bundesstaat Virginia in seinem Wahlkampf voll auf lokale Themen. Youngkin, der von Trump unterstützt wurde, sprach vor allem über die Qualität der öffentlichen Schulen und über die hohen Lebenshaltungskosten in Virginia. Youngkin vermied es aber, sich mit dem Ex-Präsidenten zu zeigen. Vielleicht ist dies ein Rezept für die Zukunft.
“Folks this stopped being a campaign a long time ago, and it started being a movement led by all of you,” Glenn Youngkin tells the crowds in Loudoun County. pic.twitter.com/0v2nIRlaCB
— Mary Margaret Olohan (@MaryMargOlohan) November 2, 2021