Abenteuer
Amerikanischer Mount Everest-Besteiger: «Die Todesrate könnte horrend ansteigen»

Der amerikanische Abenteurer und Autor Jon Krakauer musste bei seinem Gipfelerlebnis erleben, wie sich die Bergsteiger am Everest auf den Füssen herumtreten. In seinem neuen Buch warnt er vor steigenden Todeszahlen.

Daniel Fuchs
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«Die steigende Zahl von Bergsteigern birgt eine neue Gefahr.»

«Die steigende Zahl von Bergsteigern birgt eine neue Gefahr.»

B. Cannarsa/Opale/Leemage/laif

Das Pendel schlägt um. Waren in anderen Jahren die Sherpas einem erhöhten Todesrisiko am Mount Everest ausgesetzt, hat es dieses Jahr vor allem Bergsteiger getroffen, die dank der Dienste der Sherpas auf den Mount Everest stiegen. Die Ursachen: Sherpas setzen sich objektiven Gefahren wie Lawinen, Gletscherabbrüchen, Steinschlag oder Wetterumbrüchen in höherem Ausmass aus als die Bergsteiger, die für bis zu 100'000 Franken hinlegen, um den höchsten Gipfel der Welt zu erklimmen. So geschehen 2014, als herabstürzende Eismassen im gefürchteten Khumbu-Eisfall 16 Sherpas unter sich begruben. Sie wollten dort das Terrain sichern für ihre Kundschaft, die sich nur so kurz wie möglich dem erhöhten Risiko aussetzt.

Dieses Jahr aber ist alles anders. Elf Bergsteiger liessen bereits ihr Leben am Everest, kein Sherpa scheint unter den Toten zu sein. Hauptgrund waren aber nicht Lawinen, Abstürze oder Steinschlag: Vielmehr bildeten sich am Everest wegen Rekordaufkommens lange Schlangen. Stau auf über 8000 Metern aber bedeutet einen längeren Aufenthalt in der Todeszone. Die Folgen: Höhenkrankheit, Erschöpfung, Sauerstoffmangel.

Was Stau am Everest heisst, schilderte der US-Abenteurer und -Schriftsteller Jon Krakauer schon in seinem Bericht «In eisige Höhen» eindrücklich: Ungeduld und Zeitverlust.

Japanerin mit zu viel Energie

Als Krakauer 1996 während seines Aufstiegs auf den Mount Everest auf 8500 Metern in der Warteschlange stecken blieb, ereignete sich diese Szene: Eine japanische Geschäftsfrau war mit der Aussicht auf den Gipfelerfolg so energiegeladen wie nie zuvor. «Seitdem wir den Sattel verlassen hatten, hatte sie sich mächtig ins Zeug gelegt und sich nach und nach an die Spitze der Schlange gedrängelt», notierte Krakauer. Und dort sicherte sie sich an einem Seil, das noch gar nirgends verankert war. Einer der Bergführer war erst daran, es zu befestigen. Die Japanerin aber realisierte es nicht und war drauf und dran, sich mit vollem Gewicht ins Seil zu hängen, was den Bergführer mit Sicherheit aus der Wand gerissen hätte und mit ihm die Japanerin selbst. Nur ein anderer Bergführer konnte ihr Tun im letzten Moment noch unterbinden, schildert Krakauer den dramatischen Moment.

Später dann, Krakauer war bereits auf dem Abstieg vom Gipfel, blieb er im Gegenverkehr stecken. Krakauer ging der Sauerstoff aus und er schaffte es nicht rechtzeitig zum Depot weiterer voller Sauerstoffflaschen auf dem Südgipfel. Krakauer schrieb: «Schliesslich war der Weg frei – aber erst, nachdem ich mehr als eine Stunde auf 8800 Metern ohne zusätzlichen Sauerstoff verbracht hatte.» Krakauer glaubte, ganze Bereiche seines Hirns hätten den Geist aufgegeben. «Ich war wie in Trance, und in meiner Angst, in Ohnmacht zu fallen, sehnte ich mich nur noch verzweifelt danach, den Südgipfel zu erreichen, wo meine dritte Sauerstoffflasche auf mich wartete.»

Risiken durch Massenandrang

Krakauer schaffte es zur rettenden Sauerstoffflasche, doch ein Wetterumschwung überraschte die Bergsteiger. Acht liessen ihr Leben. Krakauer überlebte nur knapp. Der Stau am Berg hatte zwei Folgen: Die Bergsteiger waren zu spät unterwegs, und wegen der langen Zeit in der Todeszone waren einige von ihnen bereits massiv geschwächt.

Seine Erfahrungen haben Krakauer geprägt. Diesen Frühling erschien sein neuer Sammelband «Classic Krakauer». Ein Beitrag darin wirft ein besonderes Licht auf die Vorkommnisse der vergangenen Tage und Wochen. Krakauer thematisiert das erhöhte Todesrisiko von Sherpas am Everest in der Vergangenheit. Und warnt: «Die steigende Zahl von Bergsteigern, die den Gipfel in einem limitierten Zeitfenster guter Wetterbedingungen erklimmen wollen, birgt eine neue Gefahr. Die Todesrate von Bergsteigern und Sherpas könnte so durch gewisse Ereignisse horrend ansteigen.»