Startseite
International
Millionen US-Bürger strömen heute Dienstag an die Urnen. Ihr Entscheid hat enorme Auswirkungen – auch für uns. Und: Es könnte zu einer Situation kommen, die es so in der Geschichte noch nie gegeben hat.
In einem indirekten Wahlsystem, dem sogenannten «Electoral College». In den 50 US-Bundesstaaten sind mehr als 200 Millionen US-Bürger aufgerufen, ihre Stimme abzugeben (entweder an der Urne oder per Brief). Sie wählen nicht den Präsidenten direkt, sondern sogenannte Wahlmänner (oder Elektoren), die Mitte Dezember in einem virtuellen Treffen zusammenkommen und den Präsidenten offiziell bestimmen. Speziell an diesem System ist der «Winner takes it all»-Ansatz: In 48 der 50 Bundesstaaten gewinnt derjenige Kandidat, der die Mehrheit der Stimmen auf sich vereint, 100 Prozent der Wahlmänner – auch wenn er nur mit einer einzigen Stimme vorne liegt. Die Zahl der Wahlmänner pro Bundesstaat hängt von deren Bevölkerungsgrösse ab. Am meisten hat Kalifornien (55) gefolgt von Texas (38), New York (29) und Florida (29). Insgesamt gibt es 538 Wahlmänner. Wer 270 von ihnen gewinnt, wird Präsident.
Im Erklärvideo:
Alle Augen sind auf Pennsylvania (20 Elektorenstimmen) gerichtet, dem grossen Preis des Wahlabends. Gewinnt Donald Trump hier erneut am meisten Stimmen, rückt eine zweite Amtszeit für ihn in greifbare Nähe.
Landesweit liegt Joe Biden immer noch deutlich vor Donald Trump. Sein Vorsprung beträgt gemäss dem Umfrage-Portal «FiveThirtyEight» mehr als 8 Prozentpunkte. In den entscheidenden Bundesstaaten (den sogenannten «Swingstates», die mal demokratisch, mal republikanisch wählen) ist das Rennen knapper. Auch hier sagen die Prognostiker aber, dass Biden die besseren Karten besitze. In Pennsylvania liegt der Demokrat 5 Punkte vor Trump, in Michigan 8 Punkte und in Wisconsin beträgt sein Vorsprung gar etwas mehr als 8 Punkte. Das Rennen in Arizona, Florida und Georgia hingegen wird wohl knapper ausgehen.
Bei früheren Wahlen musste man in vielen Bundesstaaten einen schriftlichen Antrag stellen, um per Brief (wie in der Schweiz) wählen zu dürfen. In der Coronapandemie haben viele Staaten diese Bestimmung gelockert. Wem die sich bereits jetzt abzeichnende Rekordbeteiligung an den Wahlen nützt, wird sich erst bei der Auszählung der Stimmen zeigen.
Die Administration von Wahlen fällt in die Zuständigkeit der 50 Bundesstaaten. Die Regeln unterscheiden sich deshalb von Staat zu Staat. Einige Staaten – Florida zum Beispiel – zählen die vorzeitig abgegebenen Stimmen bereits am Wahltag aus und werden schon heute Dienstagabend (Lokalzeit) recht zuverlässige Ergebnisse liefern können. In anderen Staaten hingegen – Pennsylvania zum Beispiel – ist es den Stimmenzählern explizit verboten, die Wahlcouverts vor dem 3. November zu öffnen und die Stimmzettel zu sortieren. In Pennsylvania könnte ein zuverlässiges Resultat deshalb erst gegen Ende der Woche vorliegen.
Ja. Donald Trump hat in den vergangenen Tagen wiederholt gesagt, seiner Meinung nach müsse das Endresultat bereits in der Wahlnacht vorliegen. Wenn die Stimmenauszählung danach weitergehe, deute dies auf Betrug hin. Das ist nicht erwiesen. Trotzdem werden die Republikaner die Ergebnisse – je nach Ausgang – juristisch anfechten. Zu rechnen ist mit zahlreichen Gerichtsklagen, mit denen sie erreichen wollen, dass Briefstimmen, die angeblich zu spät bei den Wahlbehörden eintrafen, nicht gezählt werden.
In der Regel wendet sich der unterlegene Kandidat nach Bekanntgabe des Resultats in einer Ansprache an die Nation und gratuliert dem neuen Präsidenten. Diese «Concession Speech» beruht allerdings nur auf der Tradition und ist nicht gesetzlich vorgeschrieben. In den Tagen danach treffen sich die beiden Kandidaten, um die Machtübergabe zu besprechen. Gewinnt der Herausforderer, muss er mehr als 4000 Schlüsselstellen in der Verwaltung neu besetzen. Er erhält täglich Top-Secret-Informationen der Geheimdienste, um gut vorbereitet zu sein. Am 20. Januar (79 Tage nach der Wahl) wird er in Washington offiziell vereidigt.
Dann wird's kompliziert. Donald Trump hat mehrfach angekündigt, dass er eine Wahlniederlage nicht akzeptieren würde. Hält er daran fest, könnte in Amerika Chaos ausbrechen. Letztlich wäre in diesem Fall das Repräsentantenhaus für die Wahl des Präsidenten zuständig. Wie sich eine solche Pattsituation auf die Stimmung in Amerikas Strassen übertragen würde, bleibt offen. Die Supermarkt-Kette Walmart hat mit Blick auf drohende Unruhen bereits alle Schusswaffen aus ihrer Auslage genommen. Die Polizei rüstet sich im ganzen Land für den Ausnahmefall. Einer von fünf Amerikanern findet laut einer Umfrage, dass Gewalt gerechtfertigt wäre, wenn seine Partei die Wahlen verliert. Sollte Trump verlieren und sich weigern, das Weisse Haus zu verlassen, würde er voraussichtlich von den Agenten des Secret Service rausgeworfen, die für den Schutz des Präsidenten verantwortlich sind. Das ist bislang noch nie vorgekommen.
Donald Trump würde durch seinen Vizepräsidenten Mike Pence (61) ersetzt, Joe Biden durch seine Vizekandidatin Kamala Harris (56).
Für die Exportnation Schweiz ist vor allem die amerikanische Handelspolitik entscheidend. Wenn der demokratische Herausforderer Joe Biden gewinnt, dürfte er globale Einrichtungen wie die Welthandelsorganisation WTO wieder stärken. Das ist im Interesse kleiner Länder wie der Schweiz. Biden würde auch Trumps Konfrontationskurs mit der EU korrigieren. Hier droht die Schweiz als Kollateralschaden unter die Räder zu kommen, wie der Streit um die Strafzölle auf Stahl und Aluminium gezeigt hat. Auf der anderen Seite empfindet EU-Skeptiker Trump grosse Sympathien für das Nichtmitgliedsland Schweiz, wie auch für Brexit-Grossbritannien. Die Chancen für ein Freihandelsabkommen zwischen Amerika und der Schweiz stehen unter Trump besser als unter Biden.