Die Namen kannten wir schon. Jetzt wissen wir auch, wer in Zukunft welches Amt übernehmen wird. Ihren ersten Arbeitstag haben die neuen Minister und Ministerinnen voraussichtlich in der Woche nach dem Samichlaus.
Deutschland hat endlich ein wenig Klarheit, was seine politische Zukunft anbelangt. Am Mittwochnachmittag haben die drei Parteien der Ampel-Koalition (SPD, Grüne und FDP) offengelegt, auf welche Themen sie nach der Vereidigung (voraussichtlich in der Woche vom 6. Dezember) setzen wollen. Die drei beteiligten Parteien müssen den Koalitionsvertrag jetzt nur noch absegnen.
Klar ist zudem, wer in der neuen Regierung die wichtigsten Posten übernehmen wird. Laut der «Süddeutschen Zeitung» werden acht Ministerposten von Männern besetzt, neun von Frauen. Wir stellen die zentralen Köpfe vor:
Olaf Scholz hat sein Versprechen gehalten: Noch vor Weihnachten nimmt die erste «Ampel»-Koalition auf Bundesebene aus SPD, Grünen und der FDP unter seiner Führung die Arbeit auf. Der 63-jährige Norddeutsche ist ein erfahrener Exekutivpolitiker: Zuletzt war er Finanzminister und Vizekanzler, zuvor Arbeitsminister, regierender Bürgermeister von Hamburg und SPD-Generalsekretär. Dass er über Führungsqualitäten verfügt, zeigten nicht zuletzt die vergangenen Wochen der Koalitionsverhandlungen: Im Gegensatz zu den Verhandlungen 2017 wurden dieses Mal keine internen Dokumente geleakt.
Scholz gilt als dezidierter Europäer. Er sagte einst, dass Europa das wichtigste nationale Interesse Deutschlands sei. Für die Schweiz und ihr angespanntes Verhältnis zur EU verheisst das nichts sonderlich Gutes: Scholz dürfte europäische Prinzipien kaum für eine Verdoppelung der Schweizer Kohäsionsbeiträge über Bord werfen. Mit einem entsprechenden Vorschlag möchte die SP die verärgerte EU wieder gefügig machen.
Deutschland wird mit einem Kanzler Scholz etwas sozialer. Der Mindestlohn steigt, die Renten sollen sicher und das Mietenwachstum in den Grossstädten abgebremst werden. Auf internationalem Parkett bekämpft Scholz Steueroasen und will mit einer globalen Mindeststeuer für Grosskonzerne und Digitaltechnologie den Steuerwettbewerb unter den Staaten aushebeln. Der Schweiz drohen dadurch Steuerausfälle in Höhe von mehreren hundert Millionen Franken. Auch in Deutschland selbst müssen Gutverdiener weiter hohe Steuern zahlen. Der baldige Neo-Kanzler sagt:
«Steuersenkungen für Menschen, die so viel verdienen wie ich oder noch viel mehr, das ist nicht finanzierbar und auch unmoralisch.»
Die 40-jährige Annalena Baerbock trat als erste grüne Kanzlerkandidatin der Geschichte zu einer Wahl an. Nun wird die Hannoveranerin Aussenministerin der wichtigsten Industrienation Europas – gänzlich ohne vorherige Exekutiv-Erfahrung. Ihr Verhältnis zu wichtigen Mächten wie China und Russland muss die Völkerrechtlerin erst einmal aufbauen. Klar ist: Baerbock will die wirtschaftliche Abhängigkeit Europas von China zurückfahren. Sie sagt:
«Deutschland muss souverän bleiben. Wir dürfen uns nicht komplett einem autoritären Regime ausliefern, das auch mit unlauteren Wirtschaftsmethoden arbeitet.»
Auch das Verhältnis Deutschland-Russland dürfte mit Aussenministerin Baerbock schwieriger werden. Unter anderem forderte sie bis zuletzt, Wladimir Putins Gaspipeline «Nord Stream 2» dürfe nicht in Betrieb genommen werden.
Baerbock dürfte versuchen, auf europäischer Ebene eine gemeinsame Linie in der Flucht- und Migrationspolitik durchzusetzen. Flüchtlinge sollen nach einem Schlüssel gerecht in den EU-Staaten verteilt werden. Hier dürfte die Grüne auf Widerstand osteuropäischer Staaten stossen. Zudem macht sich die Neo-Aussenministerin für eine europäische Verteidigungspolitik stark, Europa solle die «Friedensrolle» in der Welt wieder ernster nehmen.
FDP-Chef Christian Lindner hat sich durchgesetzt: Er und seine wirtschaftsnahe Partei erhalten das einflussreiche Finanzministerium. Damit wacht der aus Wuppertal stammende 42-Jährige Politologe über die mächtige Staatskasse Deutschlands. Lindner hat durchgesetzt, dass die Steuern für Mittelstand und Gutverdiener nicht erhöht werden dürfen. Auch Unternehmens- und Mehrwertsteuern werden nicht angetastet.
Als Finanzminister muss er das Kunststück fertigbringen, trotz Milliarden-schweren Grossprojekten für Klimaschutz, Digitalisierung und Modernisierung den Staatshaushalt im Lot zu lassen. Lindner pochte nicht zuletzt so vehement auf das Finanzministerium, weil er die grosszügigen Versprechen und die Steuererhöhungs-Ankündigungen der Genossen und Grünen mit grösster Argwohn betrachtete und für die Einhaltung der Schuldenbremse nach der Coronakrise steht.
In Europa wird die mangelnde Erfahrung Lindners für das hohe Amt mit Skepsis beurteilt. Vor allem Südeuropa betrachtet den neuen Finanzminister argwöhnisch, da er damals in der Griechenland-Krise Verfechter eines harten Kurses gegenüber Athen gewesen war.
Lindner hat dafür einen guten Draht in die Schweiz. Einst sagte er:
«Ich fühle mich der Schweiz verbunden als einem freiheitsliebenden Land. Ich schätze ihre Bereitschaft zur Selbstverantwortung, die Freude an der Schaffenskraft.»
Robert Habeck, 52, hat mit Christian Lindner um das Finanzministerium gestritten - vermutlich ein Poker mit Kalkül, um nun ein Superministerium zu erhalten, das dem Norddeutschen viel Einfluss gibt: Er ist als Minister inskünftig für die Wirtschaft, die Energie- und die Klimapolitik verantwortlich.
Der Schriftsteller und Philosoph hatte ein ähnliches Amt mit Schwerpunkt Umweltschutz und Energie schon als Minister von Schleswig-Holstein inne. Doch Habeck sicherte sich nicht nur ein schwergewichtiges Ministerium, er steigt auch zum Vizekanzler neben Olaf Scholz auf.
Habeck wird einen vorzeitigen Ausstieg aus der Kohleindustrie anpeilen (2030 statt 2038), zudem wird der grüne Vizekanzler den Ökostrom-Ausbau beschleunigen. Solaranlagen sollen bei gewerblichen Neubauten Pflicht, bei neuen Privathäusern die Regel werden. Zudem sollen neue Windparks entstehen. Zudem sollen in Deutschland in wenigen Jahren nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen werden.
Habeck und die Grünen können gut verkraften, dass das von ihnen geforderte Tempolimit auf deutschen Autobahnen von 130 Studenkilometern am Widerstand der FDP gescheitert ist.