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Gegen die römische Bürgermeisterin Virginia Raggi wird ermittelt. Die Staatsanwaltschaft wirft der 38-Jährigen Amtsmissbrauch und Falschaussage vor.
Die Römer Staatsanwaltschaft hat die 38-jährige Virginia Raggi für den 30. Januar vorgeladen: An diesem Tag wird sich die angeschlagene Römer Bürgermeisterin zu einem Personalentscheid erklären müssen, der in der Ewigen Stadt schon länger zu reden gibt: Anfang November 2016 hatte Raggi Renato Marra, den Bruder ihres engsten Vertrauten und Ex-Personalchefs Raffaele Marra, vom einfachen Funktionär bei der Stadtpolizei zum Chef der städtischen Tourismusbehörde befördert. Der plötzliche berufliche Aufstieg Marras, mit dem eine Lohnerhöhung um 20'000 Euro jährlich einherging, war von Anfang an umweht vom Geruch der Vetternwirtschaft.
Inzwischen glauben die Staatsanwälte, beweisen zu können, dass die Bürgermeisterin bei ihrem umstrittenen Personalentscheid ihr Amt missbraucht habe. Denn bei der Beförderung Renato Marras seien weder dessen fachliche Kompetenzen noch die Bewerbungen anderer, besser qualifizierter Bewerber berücksichtigt worden.
Ausserdem habe Raggi gelogen: Um den Verdacht der Vetternwirtschaft zu zerstreuen, hatte sie öffentlich erklärt, dass sie den Personalentscheid ganz alleine gefällt habe, ohne auf Einflüsterungen ihres Personalchefs Raffaele Marra zu hören. Diese ohnehin nicht besonders glaubwürdige Behauptung hat sich inzwischen als nachweislich falsch herausgestellt.
«Così fan tutti», könnte man achselzuckend sagen: Das machen in Italien doch alle. Tatsächlich ist Vetternwirtschaft unter den Politikern des Belpaese eine verbreitete Unsitte. Raggis Vorvorgänger auf dem Römer Kapitol, der postfaschistische Bürgermeister Gianni Alemanno, hatte es fertig gebracht, gleich Hunderte von Verwandten, Freunden und Freunden der Freunde mit schönen Posten in der Stadtverwaltung auszustatten.
Aber die Protestbewegung «Fünf Sterne» (M5S) von Beppe Grillo, deren wichtigstes Aushängeschild Virginia Raggi ist, war angetreten, alles anders und besser zu machen als die korrupten Altparteien: Transparenz und Ehrlichkeit waren auch im Römer Wahlkampf die wichtigsten Versprechen gewesen.
Raggi selber sagte nach Erhalt der Vorladung das, was italienische Politiker jeder Couleur in solchen Situationen immer sagen: Sie habe «vollstes Vertrauen in die Justiz» und – was denn sonst – ein blütenreines Gewissen: «Ich werde alles klären.»
Von Rücktritt war natürlich keine Rede. Zumal Beppe Grillo nach Weihnachten, in Vorahnung dessen, was auf Raggi zukommen würde, den zuvor eisernen Ehrenkodex der Bewegung in dem Sinne aufgeweicht hatte, dass Amtsträger des M5S wegen eines blossen Ermittlungsverfahrens nicht mehr automatisch zurücktreten müssen, sondern erst im Falle einer Verurteilung. Mit dieser «Lex Raggi» und seiner neuen, flexiblen Haltung gegenüber Politikern mit Justizproblemen hatte Grillo bei den anderen Parteien viel Spott und Häme geerntet.
Die Römer Bürgermeisterin, die in der schwierig zu führenden Hauptstadt die Regierungsfähigkeit der «Grillini» hätte unter Beweis stellen sollen, ist zu einer schweren Belastung für die ganze Bewegung geworden. Statt die chronischen Probleme Roms wie die kaum funktionierende Müllentsorgung oder den chaotischen Verkehr anzugehen, macht die Fünf-Sterne-Stadtregierung seit der Wahl im vergangenen Juli Schlagzeilen mit Intrigen und katastrophalen personellen Fehlentscheiden.
Raffaele Marra, der vermutlich zu Recht für vieles verantwortlich gemacht wird, was bisher schiefgelaufen ist, sitzt zwar seit einem Monat unter Korruptionsverdacht hinter Schloss und Riegel. Doch das verlorene Vertrauen der Römer wird die Bürgermeisterin nicht so schnell zurückgewinnen.