Analyse
US-Bericht beschuldigt Kronprinz Mohammed wegen Khashoggi-Mord: Ein Wendepunkt für die USA und Saudi-Arabien

Für die US-Geheimdienste ist klar: Mohammed bin Salman hat die Operation zur Gefangennahme oder Tötung Jamal Khashoggis im saudischen Konsulat in Istanbul genehmigt. Präsident Biden zieht Konsequenzen – allerdings nur halbherzig.

Thomas Seibert aus Istanbul
Thomas Seibert aus Istanbul
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Sadi-Arabiens Kronzprinz Mohammed bin Salman: Laut US-Geheimdienst hat er den Mord an Jamal Khashoggi genehmigt.

Sadi-Arabiens Kronzprinz Mohammed bin Salman: Laut US-Geheimdienst hat er den Mord an Jamal Khashoggi genehmigt.

Bild: Amr Nabil / AP

Im Auf und Ab der amerikanischen Nahost-Politik hat es seit dem Zweiten Weltkrieg immer wieder grosse Spannungen zwischen Washington und den arabischen US-Partnern gegeben. Doch noch nie hat eine US-Regierung den Machthaber eines verbündeten Staates öffentlich als Drahtzieher eines brutalen politischen Mordes an den Pranger gestellt.

Die Veröffentlichung des amerikanischen Geheimdienstberichts über den Tod des Dissidenten Jamal Khashoggi und die Rolle des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman bei der Gewalttat ist deshalb ein Wendepunkt, und zwar für das Verhältnis zwischen den USA und der ganzen Region.

Es sind die letzten Videoaufnahmen von Jamal Khashoggi: Der Kritiker des saudischen Königshauses betritt Anfang Oktober 2018 das saudische Konsulat in Istanbul. Dort wird er ermordet.

Es sind die letzten Videoaufnahmen von Jamal Khashoggi: Der Kritiker des saudischen Königshauses betritt Anfang Oktober 2018 das saudische Konsulat in Istanbul. Dort wird er ermordet.

Bild: Sabah Newspaper Handout Handout / EPA

Was jetzt zum Ausbruch kommt, war in den Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien schon lange ein Problem, wurde bisher aber stets unter der Decke gehalten: Amerika als westliche Führungsmacht und selbsternannte Hüterin demokratischer Grundwerte kooperierte mit einem islamistischen Regime, das Frauen unterdrückt, Kritiker einsperrt oder hinrichtet und dem eigenen Volk jede demokratische Teilhabe an der Macht verwehrt.

USA sind nicht mehr von saudischem Öl abhängig

Saudi-Arabiens Funktionen als Ölproduzent, westlicher Vorposten am Golf und Bollwerk gegen den Iran liess alle menschenrechtlichen Bedenken in den Hintergrund treten. Diese Regel gilt nun nicht mehr. Die USA sind durch das Fracking selbst zu einem der grössten Ölproduzenten der Welt geworden und nicht mehr abhängig von den Saudis: Im Jahr 2019 importierte Amerika nur noch drei Prozent seines Ölbedarfs – 2005 waren es noch 60 Prozent.

Thomas Seibert, Istanbul

Thomas Seibert, Istanbul

Pd / Luzerner Zeitung

Wegen des Klimawandels, der absehbaren Erschöpfung der Ölvorkommen und des Aufschwungs alternativer Energieträger dürfte Öl nie mehr so wichtig sein, wie es einmal war. Deshalb fällt es den USA nun leichter, im Verhältnis zu Saudi-Arabien neue Saiten aufzuziehen. Die schärfere Gangart gegenüber Saudi-Arabien gliedert sich zudem ein in andere aussenpolitische Prioritäten der neuen amerikanischen Regierung. In seiner ersten aussenpolitischen Grundsatzrede hatte Präsident Joe Biden Anfang Februar angekündigt, die USA würden gegen autoritäre Regime wie China und Russland Stellung beziehen.

Im Umgang mit Saudi-Arabien macht Biden deutlich, dass er Mohammed bin Salman – genannt MBS – nicht als Gesprächspartner akzeptieren will, obwohl der Thronfolger de facto das saudische Königreich regiert. MBS soll damit isoliert und womöglich zum Verzicht auf den Thron gebracht werden. An diesem Montag will Bidens Regierung die Grundzüge ihrer neuen Politik gegenüber Saudi-Arabien vorstellen.

Ein Signal an weitere Staaten der Region

Laut Medienberichten könnten amerikanische Waffenlieferungen an das Königreich eingeschränkt werden, nachdem die USA ihre rüstungspolitische Unterstützung bereits wegen des saudischen Krieges in Jemen zurückgefahren haben. Dass Biden einen traditionellen Partner öffentlich so demütigt, ist zudem ein Signal an andere US-Partner in der Region wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten oder Katar. In allen diesen Ländern werden Menschenrechte eklatant verletzt.

Unter Barack Obama hatten die USA deshalb vorübergehend Waffenlieferungen an Ägypten eingestellt. Was derzeit mit MBS geschieht, könnte demnächst auch den Machthabern in anderen Ländern widerfahren. Die US-Regierung bemüht sich, diese Botschaft durch eine andere zu flankieren: Nur einen Tag vor der Veröffentlichung des Khashoggi-Berichts hatte Biden den ersten Militärschlag seiner Präsidentschaft angeordnet – und zwar gegen pro-iranische Milizen in Syrien.

Damit will Biden klarstellen, dass er die iranische Aggression nicht hinnehmen will. Washington will damit vermeiden, dass die US-Partner im Nahen Osten am Beistand durch die USA zweifeln, so wie sie es unter Obama taten. Die Reaktionen aus der Region deuten an, dass Biden sich schwertun wird, diese Politik bei den Verbündeten durchzusetzen. Saudi-Arabien wies den Khashoggi-Bericht zurück und erhielt dabei Unterstützung von Bahrain, Kuwait und den Emiraten. Auch in Bidens Verhältnis zu Israel zeichnen sich Schwierigkeiten ab.

Biden fehlt der Plan

Die Schwäche am Vorgehen der amerikanischen Regierung ist nicht, dass sie die Menschenrechte in den Beziehungen zu ihren Partnern im Nahen Osten wieder mehr in den Mittelpunkt rücken will oder dass sie sich aus der bisherigen engen Verknüpfung von Politik und Öl lösen will. Bidens Politik fehlt bisher ein inhaltlicher Kern. Was will Washington mit der neuen Linie erreichen?

Auf diese Frage gibt es bisher keine überzeugende Antwort. Deshalb ist es kein Wunder, dass einige Kritiker des US-Präsidenten bereits die Frage stellen, warum MBS nicht auf der Liste von fast 80 saudischen Regierungsvertretern steht, die mit US-Sanktionen für ihre Rolle bei der Ermordung von Khashoggi bestraft werden sollen. Bidens neue Politik tritt mit einem hohen moralischen Anspruch an – ihr Erfolg wird entscheidend davon abhängen, ob sie diesem Anspruch auch gerecht wird.