Deutschland wählt
Angela Merkel und der Wille zur Macht

Angela Merkel hat der CDU viel zugemutet und ist dennoch unangefochten. Die Kanzlerin, die in der DDR aufwuchs, blickt auf eine bemerkenswerte politische Karriere zurück.

Birgit Baumann, Berlin
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«Ich trete für die volle Legislaturperiode an»: Angela Merkel denkt nicht ans Aufhören.

«Ich trete für die volle Legislaturperiode an»: Angela Merkel denkt nicht ans Aufhören.

Keystone

Gerhard Schröder hat sie schon überholt. Im Dezember 2012 war der Tag erreicht, an dem Angela Merkel länger Chefin des Kanzleramtes war als ihr Vorgänger. Jetzt muss sie nur noch zwei CDU-Kanzler einholen: Konrad Adenauer, der 14 Jahre lang regierte, und Helmut Kohl, der es auf 16 Jahre brachte.

Nicht wenige in der CDU sind überzeugt, dass Merkel das auch noch schafft. Sie selbst denkt offiziell nicht ans Aufhören. Als es vor ein paar Monaten Gerüchte gab, Merkel wolle im Falle einer Wiederwahl 2017 aufhören, erklärte sie flugs: «Ich trete für die volle Legislaturperiode an.»

Eine Art Betriebsunfall

2005, als sie ins Berliner Kanzleramt einzieht, ist die Stimmung in der CDU noch ganz anders. «Die kann das nicht», tuscheln die mächtigen Landesfürsten. Nicht wenige halten die Tatsache, dass ausgerechnet die CDU die erste Frau ins Zentrum der Macht schickt, lange für eine Art Betriebsunfall. Sie alle haben nicht mit Merkels Ausdauer und ihrem unbedingten Willen zur Macht gerechnet.

Biografen mutmassen, dass Merkels Vorsicht, ihr Misstrauen gegenüber Fremden in ihrer DDR-Kindheit begründet liegt. Merkels Vater, ein Pastor, geht 1954 – wenige Wochen nach der Geburt der kleinen Angela – von Hamburg ins heutige Brandenburg. Er opponiert nicht offen gegen das System, doch den Kindern wird eingeschärft, immer aufzupassen, was sie sagen.

Für Politik interessiert sich Merkel zunächst ohnehin nicht. Sie studiert Physik und arbeitet danach am Institut der Wissenschaften der DDR in Ost-Berlin, wo sie auch ihren heutigen Ehemann Joachim Sauer kennen lernt. Erst zur Zeit der Wende engagiert sie sich im Demokratischen Aufbruch (DA) und wird nach der ersten und einzigen demokratischen Wahl in der DDR im März 1990 Regierungssprecherin.

Kohls Mädchen und der Vatermord

Nach der Wiedervereinigung wird Kanzler Helmut Kohl auf sie aufmerksam. Er macht sie in der ersten gesamtdeutschen Regierung zuerst zu seiner Frauen-, dann zu seiner Umweltministerin. Das bringt ihr einen Beinamen ein, der lange an ihr hängt: «Kohls Mädchen». Doch es ist ausgerechnet Merkel, die das Denkmal Kohl stürzt. Als die Spendenaffäre 1999 über die CDU hereinbricht, als klar wird, dass der Altkanzler Spenden angenommen und nicht deklariert hat, wagt zunächst keiner den Aufstand.

Plötzlich CDU-Chefin

Merkel ist es, die am 22. Dezember 1999 in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» zum «Vatermord» aufruft. «Die Partei muss laufen lernen, muss sich zutrauen, in Zukunft auch ohne ihr altes Schlachtross, wie Helmut Kohl sich oft selbst gerne genannt hat, den Kampf mit dem politischen Gegner aufzunehmen. Sie muss eigene Wege gehen», schreibt sie. Es ist der Grundstein für ein tiefes Zerwürfnis mit dem Altkanzler, das über Jahre andauert. Doch die Spendenaffäre reisst auch Wolfgang Schäuble mit, er gibt den Parteivorsitz auf. Und plötzlich, am 10. April 2000, ist Merkel CDU-Chefin. Von da an hat sie nur ein Ziel im Auge: das Kanzleramt.

2002 allerdings stellen sich ihr noch die eigenen Leute in den Weg. Der damalige bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Edmund Stoiber hält sich für den besseren Kandidaten. Merkel lässt ihm loyal den Vortritt und sieht dann mit unbewegter Miene zu, wie er scheitert und Rot-Grün in die Verlängerung geht. Damit ist parteiintern einer ihrer schärfsten Widersacher erledigt. Und es bleibt nicht bei dem einen. Dem beliebten Finanzexperten Friedrich Merz nimmt Merkel den Fraktionsvorsitz weg, den niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff lobt sie als Bundespräsident ins Schloss Bellevue. Dort erledigt er sich ohnehin selbst. Und die einst mächtigen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (Nordrhein-Westfalen) und Roland Koch (Hessen) arbeiten heute in der Wirtschaft.

Homestorys sind tabu

Nicht nur personell hat Merkel der CDU einiges zugemutet, auch inhaltlich müssen sich die Christdemokraten an viele Neuerungen gewöhnen. Zur Wahl 2005 tritt Merkel noch mit radikalen Plänen an. Sie will eine Kopfpauschale im Gesundheitswesen und ein deutlich vereinfachtes Steuersystem einführen. Doch den Wählern ist das zu viel, Merkel schafft ihre Wunschkoalition mit der FDP nicht, sondern muss bis 2009 eine grosse Koalition mit der SPD bilden.

Im Laufe der Jahre jedoch «sozialdemokratisiert» sie die Union immer mehr: Es wird mehr Geld in Kindergärten investiert, die Wehrpflicht fällt, nach Fukushima verabschiedet sich Merkel auch von der Atomkraft. Die Konservativen in der CDU verzweifeln, Merkel jedoch ficht das nicht an. «Mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial, und das macht die CDU aus», erklärt sie. Treu bleibt sie ihrer Linie allerdings im Privatleben. Homestorys sind tabu. Immerhin wissen die Deutschen, dass ihre Kanzlerin gerne wandert und vorzugsweise Rindsroulade und Kartoffelsuppe kocht.