China: Anhaltende Arbeiterproteste in Shenzhen

In einer südchinesischen Schweissmaschinenfabrik gehen seit Wochen Arbeiter auf die Strasse. Der Staat geht jedoch rabiat gegen sie vor. Eine Aktivistin lässt er verschwinden.

Felix Lee, Peking
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Auch Mao Zedong darf nicht fehlen: demonstrierende Jasic-Arbeiter in Shenzhen. (Bild: Sue-in Wong/Reuters (6. August 2018))

Auch Mao Zedong darf nicht fehlen: demonstrierende Jasic-Arbeiter in Shenzhen. (Bild: Sue-in Wong/Reuters (6. August 2018))

Proteste gibt es trotz der autoritären Führung in China viele. Immer wieder kommt es auch zu Streiks und Arbeiterdemonstrationen. Allein 2017 sollen es Tausende gewesen sein. Die Zentralregierung lässt viele auch gewähren. Solange korrupte Unternehmer an den Pranger gestellt werden und Proteste auf einen einzelnen Betrieb beschränkt bleiben, gehören sie zu den «inneren Widersprüchen» eines Landes dazu, wie sie in den chinesischen Staatsmedien zuweilen bezeichnet werden. Schliesslich ist die Volksrepublik «kommunistisch».

Doch sobald sich Aktivisten vernetzen und es in anderen Landesteilen gar zu Solidaritätskundgebungen kommt, ist es mit der Toleranz rasch vorbei. Mit aller Härte wird dann gegen die Aktivisten vorgegangen. So auch in diesen Wochen beim Schweissmaschinenhersteller Jasic Technology in der südchinesischen Stadt Shenzhen.

Vernetzung durch soziale Medien

Seit anderthalb Monaten kommt es vor den Fabriktoren des chinesischen Maschinenherstellers regelmässig zu teilweise heftigen Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und ihren Unterstützern auf der einen Seite und der Unternehmensleitung sowie den Sicherheitskräften auf der anderen. Die Jasic-Arbeiter hatten es gewagt, eine eigene Vertretung zu gründen. Sie sehen ihre Rechte unzureichend vertreten. Das Management feuerte daraufhin sieben von ihnen.

Als die Arbeitnehmer Ende Juli erneut gegen ihre Firmenleitung auf die Strasse gingen und die Wiedereinstellung der Geschassten forderten, schlugen privat angeheuerte Schlägertrupps der Firma mit Hilfe der Polizei den Protest nieder. Laut der in Hongkong ansässigen unabhängigen Arbeiterorganisation Sacom wurden 29 Demonstranten festgenommen. 14 von ihnen sind bis heute in Haft.

In Chinas sozialen Medien sprach sich das brutale Vorgehen der Behörden rasch herum. Sacom zufolge forderten Demonstranten mehrfach vor der lokalen Polizeistation die Freilassung aller Aktivisten. Spätestens das alarmierte die Staatsführung. Am 11. August war die Aktivistin Shen Mengyu noch auf einem Video zu sehen und hielt eine Rede: «Die Fabrik gibt den Arbeitern keine Gerechtigkeit, die Gesellschaft auch nicht.» Laut Augenzeugen wurde sie eine knappe Woche später von drei unbekannten Männern gezwungen, in ein Auto zu steigen. Seitdem fehlt von ihr jede Spur.

Der Fall scheint typisch für die Lage in China. Offiziell ist die Volksrepublik ein Arbeiter- und Bauernstaat. Doch in der Realität lassen die Machthaber nur eine Form der Arbeitnehmervertretung zu: der allchinesische Gewerkschaftsbund (ACFTU) unter dem Dach der kommunistischen Führung. Dieser Gewerkschaftsdachverband mit über 130 Millionen Mitgliedern wird vom Staat gesteuert. Seine Funktionäre vertreten oft die Interessen der Bosse.

Aufstand eines Leiharbeiters

Im vergangenen Jahr sorgte ein ähnlicher Fall wie derjenige der Aktivistin Shen für Aufsehen. Fu Tianbo war Leiharbeiter beim Gemeinschaftsunternehmen des staatlichen Autokonzerns FAW (First Automotive Work) in der nordchinesischen Stadt Changchun. 40 Prozent des Unternehmens gehören Miteigentümer VW, FAW hält 60 Prozent. Fu Tianbo hatte einen Protest organisiert, der für Leiharbeiter die gleichen Löhne wie für die Festangestellten forderte. Er berief sich auf das seit 2016 geltende Arbeitsrecht in China, das gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit vorsieht. Fu und seine Kollegen verhandelten sieben Runden lang mit dem Management und zogen gar vor Gericht – vergeblich. Daraufhin protestierten sie vor dem Werkstor.

Die Polizei nahm ihn wegen «Störung der öffentlichen Ordnung» fest. Immerhin liess VW die betroffenen Leiharbeiter zu fairem Lohn inzwischen fest einstellen. Doch wie die Aktivistin Shen in Shenzhen bleibt auch Fu bis heute verschwunden.