Iran hat mit der Urananreicherung „nach Bedarf“ begonnen und hebt damit eine zentrale Auflage des Wiener Atomabkommens auf. Droht jetzt ein Krieg?
1. Iran hat mit der Anreicherung von Uran über die im Atomabkommen von Wien festgelegte Obergrenze von 3.67 Prozent begonnen. Ist das vor fast genau vier Jahren geschlossene Abkommen damit endgültig tot, oder gibt es noch eine Rettungschance?
Das Abkommen liegt auf der Intensivstation. Nach dem sogenannten „Teilausstieg“ Irans könnte ein Schlichtungsmechanismus in Kraft treten. Laut Absatz 36 und 37 des „Joint Comprehensive Plan of Action“ (JCPoA), wie das Vertragswerk offiziell heisst, haben alle Vertragsparteien das Recht, die von der EU koordinierte „Joint Commission“ anzurufen. Das Gremium, dem alle Vertragspartner, also Grossbritanien, Frankreich, Deutschland, Russland, China und Iran, angehören, hat dann 15 Tage, oder einvernehmlich auch länger, Zeit, eine Lösung zu erreichen. Bei einem Scheitern kann jede Partei die Aussenminister der Vertragsparteien um Vermittlung bitten. Auch sie haben 15 Tage Zeit zur Schlichtung. Scheitern auch die Minister, wird der UN-Sicherheitsrat eingeschaltet.
2. Was hat die UNO mit dem Abkommen zu tun?
Iran hatte während der Verhandlungen darauf bestanden, das „JCPoA“ durch die Sicherheitsratresolution 2231 (2015) für völkerrechtlich verbindlich zu erklären – was auch geschehen ist. Der Rat müsste innerhalb von 30 Tagen entscheiden, dass Iran das Abkommen „in erheblicher Weise“ missachtet hat. Sollte auch im Rat keine Einigung erzielt werden, werden die Sanktionen gegen Iran automatisch wieder eingeführt. Ein Vetorecht besteht nicht. Tatsächlich haben sich die USA seit ihrem Ausstieg aus dem Abkommen vor einem Jahr nicht mehr an das Vertragswerk gehalten, das seither – ganz nüchtern betrachtet – nicht mehr wirksam ist.
3. Werden die Schlichtungsmechanismen von den Vertragsparteien ausgeschöpft werden?
Für Teheran, so hiess es gestern, sei Diplomatie noch immer eine Option. Nach Ansicht von Irans Aussenminister Zarif verstösst die inzwischen begonnene zusätzliche Anreicherung von Uran nicht gegen den „JCPoA“, weil auch die Europäer ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen seien. Die iranische Argumentation ist von den Europäern zurückgewiesen worden. Eine Vertragsverletzung, so der Standpunkt der EU, rechtfertige keine zweite. Es gäbe „keine Gleichheit im Unrecht“.
4. Was könnte Europa, das aus der Sicht Teherans in der Bringschuld ist, tun, um das Atomabkommen zu retten?
Frankreichs Präsident Macron hat gestern mit dem iranischen Staatschef Rohani über ein Aussenministertreffen der sechs noch verbliebenen Vertragsparteien gesprochen. Es könnte, so heisst es, in zwei Wochen stattfinden. Der „diplomatische Manövrierraum“, glaubt der deutsche Sicherheitsexperte Wolfgang Ischinger, sei „noch nicht völlig ausgeschöpft worden“.
5. Die USA interpretieren die „unbegrenzte“ iranische Uran-Anreicherung schon jetzt als grobe Verletzung des Abkommen, an das sie sich selbst seit über einem Jahr nicht mehr halten. Wann könnte aus der Perspektive der Trump-Administration der Zeitpunkt für militärische Schritte gekommen sein?
Wenn Iran über ein Urananreicherung von über fünf Prozent hinausgeht und, wie vor der Unterzeichnung des Abkommens vor vier Jahren, die 20-Prozent-Marke erreicht. Die Islamische Republik, behaupten Experten, war damals nur einen kleinen Schritt, die Rede war von vier bis fünf Monaten, vom Bau einer Atombombe entfernt.
6. Und heute?
Heute ist Iran von der sogenannten „breakout capability“, also dem Punkt, an dem die Herstellung einer iranischen Atombombe nicht mehr verhindert werden kann, mindestens drei Mal so weit entfernt. Der Grund dafür ist das Atomabkommen, an das sich Iran bislang ja strikt gehalten hatte: Vor vier Jahren konnte Iran über 12000 Kilogramm schwach angereichertes Iran verfügen. Heute sind es etwas mehr als 300 Kilogramm. Auch die Zahl der Zentrifugen wurde drastisch verringert. Der eingeleitete „Teilausstieg“ ist nach Ansicht des deutschen Abrüstungsexperten Oliver Meier kein Anzeichen für die bevorstehende Aufnahme eines militärischen Atomprogramms.