Aufstand gegen Mays Brexit-Politik

Wegen der «weicheren» Umsetzung des Brexit durch die Premierministerin sind mit David Davis und Boris Johnson zwei wichtige Minister zurückgetreten. Deren Nachfolger sind bereits bekannt. Theresa May rechtfertigt ihren Kurswechsel als «richtigen» Brexit.

Sebastian Borger, London
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Britische EU-Anhänger demonstrieren vor dem Westminster-Palast nach wie vor hartnäckig gegen den Brexit.Bild: Matt Dunham/AP (London, 9. Juli 2018)

Britische EU-Anhänger demonstrieren vor dem Westminster-Palast nach wie vor hartnäckig gegen den Brexit.Bild: Matt Dunham/AP (London, 9. Juli 2018)

Regierung am Abgrund: Zwei Jahre nach dem EU-Austrittsvotum und drei Tage nach einem abrupten Kurswechsel von Premierministerin Theresa May haben führende Brexiteers der eigenen Regierung den Kampf angesagt. Nachdem in der Nacht auf Montag Brexit-Minister David Davis seine Demission eingereicht hatte, trat am Montagnachmittag, wenige Minuten vor einer Unterhaus-Erklärung der Regierungschefin, auch Aussenminister Boris Johnson zurück. May dankte beiden Ministern, teilte aber mit: «Wir sind unterschiedlicher Meinung.»

Davis, 69, und Johnson, 54, waren von May vor zwei Jahren erstmals in ihrer politischen Karriere ins Kabinett geholt worden. Gemeinsam mit dem Aussenhandelsminister Liam Fox sollten sie eine Lösung finden für den Brexit, den sie durch ihre Haltung im Referendumskampf mit heraufbeschworen hatten.

Dominic Raab und Jeremy Hunt beerben Davis und Johnson

Er könne den am Freitag beschlossenen Kurswechsel zu einem weicheren Brexit nicht mittragen, begründete Davis seinen Rücktritt. Die Regierungschefin brauche «einen enthusiastischen Gläubigen, keinen widerwilligen Rekruten» im Ministeramt. May ernannte den bisherigen Wohnbau-Staatssekretär Dominic Raab zu Davis’ Nachfolger. Von Johnson war bis am Montagabend keine Stellungnahme zu erhalten. Jedoch wurde zu später Stunde mit dem bisherigen Gesundheitsminister Jeremy Hunt (51) umgehend sein Nachfolger bestimmt. Johnson hätte als Gastgeber beim Londoner Westbalkan-Gipfel fungieren sollen, zu dem heute auch Regierungschefs wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und Sebastian Kurz (Österreich) erwartet werden.

Labour-Oppositionsführer Jeremy Corbyn tadelte die Regierung für zwei Jahre «Unentschlossenheit, interne Zerstrittenheit und Chaos». Johnson habe schon seit Monaten «eine Peinlichkeit für unser Land» dargestellt, höhnte der Fraktionschef der schottischen Nationalpartei SNP, Ian Blackford. Aus Brüssel gab EU-Ratspräsident Donald Tusk seiner Hoffnung Ausdruck, mit den beiden Ministern könne man sich auch von «der Idee des Brexit» verabschieden.

Bei einer Klausurtagung auf ihrem Landsitz in Chequers hatte die Premierministerin am Freitag ihrem Kabinett den Abschied vom zwei Jahre lang propagierten harten Brexit samt Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion aufgezwungen. Angestrebt wird nun ein Hybrid aus politischer Alleinstellung und wirtschaftlich enger Verflechtung mit dem Kontinent («weicher Brexit»). Eine Freihandelszone soll den reibungslosen Handel mit Gütern gewährleisten; dafür müssten die «gemeinsamen Regeln» befolgt werden, heisst es in einem dreiseitigen Papier, das die Chequers-Ergebnisse skizziert. Bei Dienstleistungen wollen die Briten hingegen ihre eigenen Wege gehen. Auch könne die Personenfreizügigkeit über die bereits vereinbarte Übergangsphase bis Ende 2020 hinaus nicht aufrechterhalten werden.

Streit um Zugeständnisse

Davis sowie andere EU-Feinde wie der Leiter einer Gruppe von Brexit-Ultras, Jacob Rees-Mogg, misstrauen diesen Vorstellungen. «Gemeinsame Regeln» bedeute in Wirklichkeit «EU-Regeln», argumentiert der bisherige Brexit-Minister in seinem Rücktrittsschreiben – eine Einschätzung, die in Brüssel geteilt wird. Dort besteht zudem der Verdacht, die Briten wollten die vier Säulen des EU-Binnenmarktes (Güter, Dienstleistungen, Geld, Personen) auseinanderbrechen. Das sei gerade mit kleineren Mitgliedsstaaten wie den skandinavischen oder den Benelux-Ländern nicht zu machen, heisst es. In den bevorstehenden Verhandlungen müsste London also weitere Zugeständnisse machen.

Genau dies befürchtet Davis (siehe Kasten). Die EU habe stets alle britischen Zugeständnisse verbucht und anschliessend noch mehr gefordert, klagte der Politiker gegenüber der BBC. «Wir geben immer wieder zu schnell nach.» Der Minister war in den vergangenen Monaten regierungsintern immer mehr ins Abseits geraten. Die EU-Austrittspolitik wird neben May selbst sowie ihrem Kabinettschef Gavin Barwell zudem stärker vom Spitzenbeamten Oliver Robbins bestimmt.

Raab, 44, gehört wie sein 69-jähriger Vorgänger den Brexiteers in der konservativen Fraktion und im Kabinett an. ­Deren prominente Vertreter wie Andrea Leadsom (Führerin des Unterhauses) oder Michael Gove (Umwelt) haben sich in Medieninterviews demonstrativ an Mays Seite gestellt.

Davis habe Unrecht, teilte Leadsom am Montag mit. Der neue Brexit-Plan setze das Austrittsvotum vom Juni 2016 um: «Wir gewinnen die Kontrolle über unsere Grenzen, unsere Gesetze und unser Geld zurück.» Gove nannte das Chequers-Papier «nicht perfekt, aber gut». Premierministerin May verteidigte im Unterhaus ihre Politik als «richtigen Brexit». Ein unkontrolliertes Ausscheiden Grossbritanniens ohne Abschlussvereinbarung mit der EU hätte «schwerwiegende Konsequenzen». Das Land habe Besseres verdient.

Am Abend wollte die konservative Parteichefin vor ihrer Fraktion sprechen. Dort dürften sich die Brexit-Ultras zu Wort melden, die am Montag ihrer Enttäuschung in zahlreichen Medieninterviews Luft machten. Das Chequers-Papier setze den Brexit nicht um, maulte Hinterbänkler Rees-Mogg. May solle zurücktreten und «einem enthusiastischen ­Brexiteer Platz machen», forderte die Abgeordnete Andrea Jenkyns. Für eine fraktionsinterne Vertrauensabstimmung bedürfte es allerdings der schriftlichen Aufforderung von 48 Rebellen; das anschliessende Votum der 316 Tory-Abgeordneten würde May nach jetzigem Stand klar gewinnen.

Brexit-Weissbuch kommt diese Woche

Für Empörung bei den Hardlinern sorgten auch geplante Treffen Barwells, bei denen der Kabinettschef Abgeordneten der oppositionellen Labour-Party und Liberaldemokraten die Regierungsideen für den Brexit erläutern wollte. In der britischen Politik gelten solche Gespräche als ungewöhnlich. Allerdings trägt Barwell damit nur der Realität im Unterhaus Rechnung. Dort haben die Tories seit der vorgezogenen Wahl vom Juni 2017 keine Mehrheit mehr. An diesem Donnerstag muss nun der neue Minister Raab das geplante Brexit-Weissbuch im Unterhaus einbringen. Dem Vernehmen nach wird es 120 Seiten umfassen und detailliert die britischen Vorstellungen für die kommenden Verhandlungswochen skizzieren. Anschliessend könnte der neue Mann anstelle von Davis dessen geplante Reise durch mehrere wichtige EU-Mitglied­länder antreten.