Das Oberste Gericht lehnt einen Antrag des Ex-Präsidenten auf Haftverschonung ab. Lula wollte in diesem Jahr erneut zum Präsidenten gewählt werden und hatte laut Umfragen gute Chancen auf einen Wahlsieg. Nun ist seine Partei angeschlagen.
Luiz Inácio, genannt Lula, da Silva hat das Urteil über seine Zukunft, manche sagen auch die Brasiliens, im zweiten Stock des Sitzes der Metallarbeiter-Gewerkschaft in São Bernardo do Campo verfolgt.
Im dritten Stock hatten sich Anhänger und Sympathisantinnen des «Partido dos Trabalhadores» (PT, Arbeiterpartei) versammelt. Als Gewerkschaftsführer in São Paulo begann Lulas Karriere in der brasilianischen Politik, die ihn 2003 bis in das Präsidentenamt führte, in den 1970er-Jahren. Sollte sie hier heute zu Ende gehen?
An diesem Mittwoch entschied das Oberste Bundesgericht in Brasília nach elf Stunden Sitzung und mit sechs zu fünf Stimmen, dass Luiz Inácio da Silva (72), der bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober gerne wieder antreten würde, aber auch wegen Korruption und Geldwäsche verurteilt ist, gleich ins Gefängnis muss und nicht auf freiem Fuss bleiben kann, bis alle Rechtsmittel ausgeschöpft sind.
Der ehemalige Präsident Brasiliens vom «Partido dos Trabalhadores» war im Juli vergangenen Jahres mit einer Strafe von neuneinhalb Jahren Haft belegt worden, im Januar hatte ein Berufungsgericht in Porto Alegre das Urteil in zweiter Instanz bestätigt und das Strafmass auf zwölf Jahre und einen Monat erhöht.
Er kann nun in den kommenden Tagen ins Gefängnis kommen, wobei seine Anwälte noch bis zum 10. April Berufung einlegen können und das Urteil vermutlich weiterziehen werden, solange sie können.
Auf die Zulassung bei den Präsidentschaftswahlen hat die Entscheidung von Freitagnacht keine direkte Auswirkung. Seinen Wahlkampf kann Lula theoretisch auch von einer Gefängniszelle aus betreiben, das oberste Wahlgericht wird erst in einigen Monaten über eine Kandidatur entscheiden.
Lula war für schuldig befunden worden, die Renovierung einer Wohnung in Guarujá an der Küste des Bundesstaates São Paulo gegen Bauaufträge angenommen zu haben. Luiz Inácio da Silva selbst spricht von einem politischen Prozess.
Er ist immer noch beliebt, führt in Umfragen mit 36 Prozent vor dem zweitplatzierten ultrakonservativen, manche sagen auch faschistischen, Jair Bolsonaro und würde bei den Wahlen vermutlich siegen.
Die Ablehnung, ja der Hass, gegen Lula geht jedoch weit über die Politik hinaus. In seiner Zeit als Präsident zwischen 2003 und 2010 hat Luiz Inácio da Silva, auch begünstigt von hohen Rohstoffpreisen, vielen Armen mit Sozialprogrammen und Familienhilfe den Aufstieg in die (untere) Mittelklasse ermöglicht.
«Gehen wir davon aus, dass Sie daran gewöhnt sind, eine Hausangestellte zu haben. Plötzlich ist sie auch am Flughafen wie Sie, übernachtet in Hotels, geht ins Shopping-Center, besucht Universitäten», hatte der Schriftsteller Luiz Rufatto, der durch seine Brasilien-kritische Eröffnungsrede an der Frankfurter Buchmesse 2013 Aufsehen erregte, im Gespräch in Rio de Janeiro gesagt. «Das ist unerträglich für unsere rassistische und klassistische Elite.»
Die Stimmung in Brasilien ist seit Tagen aufgeheizt und angespannt gewesen. Brasília ist genauso gespalten wie das Land bei den Veranstaltungen und Demonstrationen für und gegen Luiz Inácio da Silva in Rio de Janeiro, São Paulo und anderen Städten an diesem Montag und Dienstag.
Das Militär hatte am Dienstag den Druck auf das Oberste Bundesgericht erhöht. Der General Eduardo Villas Bôas twitterte, dass das Militär Straflosigkeit ablehne, was als Einmischung in die demokratischen Institutionen, ja sogar Androhung eines Eingreifens verstanden wurde.
An der Copacabana, wo sich am Dienstag Demonstrantinnen und Demonstranten in gelb-grünen Trikots und mit brasilianischen Fahnen versammelt hatten und ein Lula-Bild als Häftling auf einen Wagen projiziert war, waren wieder «Lula na cadeia» (Lula ins Gefängnis)-Rufe zu hören.
Dann war es still. «Niemand wird für Lula auf die Strasse gehen», hatte der Schriftsteller Luiz Rufatto gesagt; trotz seiner Beliebtheit, und so kam es auch. Auch Luiz Inácio da Silva hat nichts gesagt, als er den Sitz der Metallarbeiter-Gewerkschaft in São Paulo verliess.