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Es gilt als das zurzeit meistverkaufte Buch der Welt: In «Fire and Fury» beschreibt US-Journalist Michael Wolff die chaotische Präsidentschaft von Donald Trump. Nun habe eine neue, noch dramatischere Phase begonnen, sagt der Autor.
Abgemacht haben wir in seiner Wohnung im hippen New Yorker Stadtteil Greenwich Village, doch ich begegne dem Mann mit dem bekannten TV-Gesicht bereits in der Strasse. Michael Wolff trägt eine volle Einkaufstasche nach Hause: «Ich koche heute Abend», sagt er. Beim Eingang steht ein Kinder-Kickboard. Der 64-Jährige ist vor drei Jahren nochmals Vater geworden. Er bittet ins Wohnzimmer, wo sich CD-Hüllen des Hörbuchs von «Fire and Fury» stapeln. «Ein Rätsel, warum die Leute noch CDs kaufen», sagt Wolff. Für seine Recherchen hat ihm Trump wochenlangen Zugang ins Weisse Haus gewährt, und «fast alle Angestellten plauderten mit mir», erzählt Wolff. Er glaube, dass Trump das nicht mehr machen würde. «Oder vielleicht doch? Er ist eben Donald Trump.»
Michael Wolff: Das sagt man mir.
Zwei Millionen in den USA und inzwischen fast eine Million in Europa.
Gute Frage. Als ich das erste schrieb, wusste ich, dass es den ersten Akt dieser Präsidentschaft behandelt – und dass es zwei weitere Akte geben würde. Nun stehen wir eindeutig im zweiten Akt. Jedermann kommt zum Schluss, dass dieser Präsident gefährdet ist. Von überall her fliegen Giftpfeile auf ihn zu.
Man kann jetzt sagen: Er ist allein. Ganz allein zu Hause.
In Wahrheit sind das die einzigen Leute, die diese Jobs überhaupt annehmen. Noch schlimmer ist es bei seinen Anwälten: Buchstäblich keiner will für Trump arbeiten.
Die Anwälte, die er findet, sind entweder pensioniert, oder es sind keine «A-Anwälte». Wir sehen den Präsidenten auf ein Amtsenthebungsverfahren zusteuern – und dies ohne Anwälte.
Mehr und mehr, ja.
Was wollten sie? Man kann es so sehen: Eine Generation lang waren die Bürger zunehmend desillusioniert von der Politik und den Politikern, darum wählten sie 2016 das exakte Gegenteil. Hier haben wir nun einen Mann, der temperamentsmässig, sprachlich, intellektuell und sexuell das pure Gegenteil dessen ist, was ein Politiker sein sollte. Es ist das grosse Experiment. Eines, das gescheitert ist.
Wenn uns die Trump-Ära eines gelehrt hat, dann dies: Mit Umfragen sollten wir vorsichtig sein.
Trump mag Medien-Typen, aber eben: Er muss nehmen, wen er jetzt noch kriegt. Ich kenne und mag Larry Kudlov, aber seine Karriere bei CNBC war ... (zögert)
Ja. Bei John Bolton dasselbe. Er brauchte einen neuen Job.
Unter all den unwahrscheinlichen Dingen, die passieren könnten, ist das wahrscheinlich das unwahrscheinlichste.
Ich bin dankbar.
Eigentlich schaut Trump ja nicht Fox News, sondern CNN, weil er denkt,
das sei die grosse Marke. Er reagiert mehr gegen CNN, als dass er zugunsten von Fox reagiert.
Murdoch hält Trump für einen Idioten. Zugleich glaubt er, dass es wichtig ist, eine Beziehung zu dem Mann zu haben, der Präsident ist. Trump seinerseits hält Murdoch für den ultimativen Unternehmer, einen Mann, der alles erreicht hat.
Trump und die Medien, das ist eine verrückte symbiotische Beziehung. Sie ist fast sexualisiert. Beide brauchen einander und profitieren gegenseitig. Beide zittern vor Entzücken. Trump ist die goldene Gans für alle Medien.
Aus Business-Sicht gibt es kein «langfristig». Jedes Medium versucht Donald Trump auszuquetschen für alles, was er hergibt – im Bewusstsein, dass wir alle erledigt sind, wenn er weg ist.
Michael Wolff (64) wuchs als Sohn einer Reporterin und eines Werbers auf. Er verdiente sein erstes Geld als Laufbursche bei der «New York Times». Wolff studierte an der Columbia University in New York. Mit 21 arbeitete er als Journalist
für verschiedene US-Zeitungen und Magazine, mit 26 schrieb er sein erstes Buch («White Kids»). Heute ist Wolff Kolumnist und Buchautor. Sein erster Bestseller erschien 1998: In «Burn Rate» beschreibt er das Scheitern seiner eigenen, im ersten Internet-Boom gegründeten MedienFirma.
Der grosse Coup gelang ihm im Januar 2018 mit «Fire and Fury», dem Buch über Präsident Trump. Wolff ist Vater dreier erwachsener Kinder aus seiner früheren Ehe; mit seiner aktuellen Partnerin hat er eine dreijährige Tochter. Er lebt in New York.
Ja, viele Medien überleben zurzeit buchstäblich mit Donald Trump.
Ja, das sind sie. Sehr sogar. Seit Trumps Pussy-Gate-Krise (er prahlte im Wahlkampf damit, er könne als Star Frauen überall anfassen, die Red.) hat die Welt eine kulturelle Revolution erlebt, die in Teilen auch auf diese Krise zurückzuführen ist. Das ultimative Ziel der #MeToo-Bewegung ist Donald Trump.
Er ist das mächtigste Symbol für das, was das neue Verständnis von Belästigung ausmacht. Trump ist wahrscheinlich der grösste Belästiger aller Zeiten.
Ich weiss es nicht. So wie es aussieht, gibt es in dieser Ehe eine Vielzahl von Arrangements. Das gibt es wohl in jeder Ehe. Aber seine sind ungewöhnlicher.
Keine. Eine Rolle zu spielen – das ist nicht Teil dieses Arrangements. Melania will keine Rolle, und ihr Mann will nicht, dass sie eine hat.
Absolut. Mueller ist ein bedeutendes Risiko. Aber ich bin mir nicht einmal sicher, ob er das grösste ist. Das unmittelbarste Risiko besteht darin, dass die Republikaner bei den Kongresswahlen (im kommenden November, die Red.) ihre Mehrheit verlieren und Trump dann einem Amtsenthebungsverfahren entgegenblickt.
Inzwischen ist die Wahrscheinlichkeit gestiegen, ich schätze sie auf über 50 Prozent.
Für ein solches Zusammenspiel, also für eine Verschwörung, bräuchte es Absicht. Und die ist juristisch sehr schwer nachzuweisen. Dummheit kann helfen, sich gegen den Vorwurf der Absicht zu verteidigen. Diese Typen können eher aus Dummheit denn aus einem Plan heraus handeln.
Eine Angewohnheit von Trump ist es, den Sieg zu verkünden in einer Situation, die jeder andere Mensch als Niederlage sehen würde. Das ist ein Talent seiner Laune. Wenn er denkt, dass er einen Weg aus dieser Präsidentschaft findet und sich dabei zum Sieger erklären kann, dann würde er ihn nehmen. Er könnte dann das Amtsenthebungsverfahren als extrem parteiischen Effort bezeichnen, ihn, den rechtmässigen Präsidenten, zu entfernen.
Aber sicher.
Ich glaube nicht, dass Donald Trump die Fähigkeit hat, einen Krieg zu beginnen. Krieg ist etwas unglaublich Komplexes, ein bürokratisches Unterfangen. Da geht es nicht einfach darum, den Knopf zu drücken. Man muss eine ganze Reihe von Entscheidungen treffen, um an diesen Punkt zu gelangen. Eine Entscheidung zu treffen, erfordert fünf weitere Entscheidungen. Man befindet sich dabei in einem intellektuellen Ökosystem, in dem Trump nicht funktionieren kann. Er ist nicht imstande – zu dumm, wenn Sie so wollen – um einen Krieg zu beginnen.
Das macht keinen Unterschied. Man muss, um einen Krieg zu beginnen, in einem Raum sitzen. Trump aber hält
es kaum länger als drei Minuten aus in einem Raum mit Generälen. Er kann das nicht. Die Vorstellung, dass Krieg etwas Dummes ist, stimmt nicht. Krieg ist anstrengend, kompliziert. Zu kompliziert für Donald Trump. Das würde für jedermann offensichtlich, wenn er es versuchen würde, und das kann er nicht zulassen.
Das glaube ich, ja.
Dieses Treffen wird nie stattfinden.
Weder Trump noch Kim haben wirklich ein Interesse daran. Trump wird davon abgebracht werden.
Sie denken in traditionellen politischen Dimensionen. Sie haben eine rationale Sicht auf Ursache und Wirkung. Trump tickt anders. Er weiss nichts über Nordkorea und nichts über die Atomwaffen. Abgesehen davon: Er ist kein Dealmaker. Manchmal beansprucht er Deals, die andere ausgehandelt haben, für sich. Zu verhandeln, das ist ein detail-orientierter Vorgang. Trump ist ausserstande, kann sich nicht mit Details befassen.
Jeder Tag ist für ihn ein existenzieller Tag. Wie er das durchsteht? So wie er sein ganzes Leben durchgestanden hat: Indem er TV schaut und Freunde anruft. Er arbeitet nicht sehr hart.
Seine Basis hat sich nicht in dem Masse vergrössert, wie er sich das vorgestellt hat. Und er hat keine Partei, die wirklich hinter ihm steht. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass ihm der Kongress entgleitet – ein möglicherweise tödliches Ereignis.
Es ist nicht so kompliziert: Trump ist ein TV-Talent. Er macht alles für die Kamera und für das Publikum. Lassen wir Kategorien wie Gut und Böse oder links und rechts mal beiseite: Da haben wir ganz einfach eine Weltklasse-Figur.
Das mag aus politischer Sicht so sein, aber Sie müssen das aus dramaturgischer Sicht betrachten. Wer steht am Morgen nicht auf und denkt: Oh mein Gott, das ist unglaublich. Un-glaub-lich! Kein einziges Mal in acht Jahren Obama ist jemand aufgewacht und hat gesagt: Das ist unglaublich. Es ist empirisch belegt: Trump ist die grösste Story aller Zeiten.