Die Parteigrenzen und -lager in Europa vermischen sich mehr und mehr. Rechts- und Linksaussen haben heute ganz ähnliche Programme. Mehr Lohn für die kleinen Leute, weniger Macht fürs Politestablishment und Schluss mit dem «deutschen Euroraum».
Wer würde denn über die Italienwahl klagen? «Das italienische Volk hat mit Mut und Klarsicht gewählt», frohlockt in Paris der rechtsextreme Front National. Ganz offensichtlich vermischen sich die Parteigrenzen und -lager in Europa mehr und mehr. Rechts- und Linksaussen haben heute ganz ähnliche Programme: Mehr Lohn für die kleinen Leute, weniger Macht für das Politestablishment –- «la casta» in Rom, «les élites» in Paris. Und vor allem Schluss mit dem Euro: Grillo will zur Lira zurück, Marine Le Pen zum Franc.
Ihre Gesinnungsgenossen sind überall im Vormarsch. In Griechenland machten die Extremisten bei der letzten Wahl 2012 mehr als ein Drittel Stimmen. In Tschechien löste im Januar der linke Volkstribun Milos Zeman den rechten EU-Kritiker Vaclav Klaus als Präsident ab. Von Holland über Österreich bis nach Rumänien sind die Populisten im Vormarsch. Dabei sind nur die Rechtsextremen in Ungarn (Jobbik) noch offen rassistisch; anderswo in Europa geben sie sich heute fast schon «altermondialistisch» modern, das heisst globalisierungsfeindlich. In Frankreich etwa verlangt Marine Le Pen genau wie Jean-Luc Mélenchon, der Chefpolterer von «la Gauche» (Die Linke), nationalen Protektionismus und eine massive Währungsabwertung. Das hindert sie nicht, vor den TV-Kameras wie Erzrivalen aufzutreten. Wutbürger bekriegen sich eben auch, wenn sie miteinander einverstanden sind.
Und jetzt der italienische Politklamauk mit Grillo und Berlusconi. Kein Wunder, zitterten am Montag die Finanzmärkte. Und die Proeuropäer in Brüssel und anderswo. «Die Hälfte der Italiener», kommentiert die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (FAZ), «hat für Listen gestimmt, die aggressiv antieuropäisch auftraten.» Genauer: antideutsch. Am Pranger war der Sparkurs, den «la Merkel» den übrigen Europäern verpassen will. Selten zuvor waren in Italien so offen deutschfeindliche Töne zu hören.
Auch anderswo in Europa hält man sich nicht mehr zurück: In Paris schimpft Marine Le Pen lauthals über die «ultraliberale» Politik Berlins und der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt. Die Ideen des Front National erreichen immer mehr Franzosen: 32 Prozent befinden sie in einer neuen Umfrage für «gut». Auch die französischen Sozialisten murren über den Sparkurs des sozialistischen Präsidenten François Hollande: Bis hinein in die Pariser Regierung erschallen Rufe, man solle das Budgetdefizit schlittern lassen und den Euro abwerten – ein schieres Tabu für deutsche Ohren.
Le Pen hingegen jubelt: Das sei genau, was sie verlange, nämlich den Ausstieg aus dem Euro und die Rückkehr zum Franc, begleitet von einer massiven Abwertung um 25 Prozent. Auf diese Weise soll die französische Ausfuhrwirtschaft auf einen Schlag mit der deutschen Exportmaschine gleichziehen. Das ist natürlich Humbug: Die deutsche Wirtschaft ist stark, weil sie tiefgehend reformiert wurde und weil sie auf Lohnmässigung setzte. In Paris gehen liberale Thinktanks wie das Institut Montaigne und der Sozialist Henri Weber einig, dass ein Euro-Ausstieg Frankreichs eine Kettenreaktion auslösen würde. Wenn die Franzosen um 25 Prozent abwerten, warum sollen die Spanier dann nicht zu ihrer Peseta zurück und diese gleich um 50 Prozent abwerten? Die Folge wäre eine Spirale aus Inflation und Rezession, das heisst Kaufkrafteinbruch und Massenarbeitslosigkeit.
Die Gegenseite der Populisten, das heisst die Pragmatiker wie Merkel und Hollande, die Reformer wie Cameron und Rajoy, die vernünftigen Italiener wie Bersani und Monti, haben aber auch ein Problem: Sie wissen keine besseren Lösungen. Ihre sozialdemokratischen oder liberal-konservativen Wirtschaftsreformen kommen zu spät. Denn jetzt herrscht Krise, jetzt sind schmerzhafte Strukturreformen im Arbeitsmarkt oder dem Sozialsystem für die Konjunktur so gefährlich wie die Bekämpfung der ausufernden Staatsschulden.
Nur in Deutschland hatte SPD-Kanzler Gerhard Schröder schon Jahre vor der Subprime-Krise gehandelt. Dort liegt die Arbeitslosigkeit nun bei nur 5,5 Prozent, während sie in Frankreich und Italien doppelt so hoch ist. Das ist mit ein Grund, dass die deutschen Populisten so schwach – oder wie die Piraten – so nett bleiben.
Doch das kann sich ändern. Man erinnere sich, auch in Deutschland gab es vor gut einem Jahr noch etliche «Wutbürger»: Es waren jene Bürger, die ihr sauer verdientes Geld nicht dem griechischen «Schlendrian» opfern wollten. Doch mit dem neusten Zinsanstieg am Montag in Italien wird die Frage neu aufs Tapet kommen: Müssen die Deutschen schon wieder für die Schulden der Südeuropäer haften? Die Frage könnte rasch einmal den deutschen Bundestagswahlkampf beherrschen. Und wer weiss, ob die Arbeiter Deutschlands bereit sind, den Euro-Kelch bis zum Schluss zu schlürfen. Viele werden sich sagen, dass es sich unter der Mark bedeutend besser – und überdies selbstbestimmt – gelebt habe.
Natürlich hat der Euro schon viele Attacken überlebt, und gegenüber dem gewieften EZB-Chef Mario Draghi ist ein Beppe Grillo nicht viel mehr als eine Witzfigur. Doch die schleichende Zersetzung der EU oder zumindest des Euroraums geht weiter: Der Triumph der italienischen Populisten wirkt, als würde ein weiterer Stein aus dem europäischen Konstrukt gezogen. Einmal kann die Mauer ganz einstürzen. Und dann werden es alle jene bereuen, die nun den Rattenfängern wie Grillo oder Le Pen die Stimme gegeben haben.