Grossbritannien
Besinnlicher Brexit: Die Briten veranstalten Neuwahlen im Advent

Die Briten müssen in der zweiten Dezemberwoche ein neues Parlament wählen. Die Wahlen in der dunklen Jahreszeit bergen Risiken.

Sebastian Borger aus London
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Im Advent gibts Neuwahlen. Obs dann endlich vorwärtsgeht mit dem Brexit?

Im Advent gibts Neuwahlen. Obs dann endlich vorwärtsgeht mit dem Brexit?

Keystone

Im Advent solls endlich vorwärtsgehen. Mitten in der besinnlichen Jahreszeit müssen die Briten an die Urne, um ein neues Parlament zu wählen. Das Gesetz, das die Neuwahlen nötig macht, haben die Abgeordneten auf der scheidungswilligen Insel gestern beschlossen.

Nachdem die Labour-Opposition ihren Widerstand gegen das Vorhaben des konservativen Premiers Boris Johnson aufgegeben hatte, stand dem Gesetz nichts mehr im weg. Umstritten blieb zunächst nur noch der genaue Tag der Neuwahlen. Die Regierungsvorlage selbst nannte dafür den Donnerstag, 12. Dezember. Es gehe darum, die Pattsituation im Unterhaus zu beheben, sagte der Regierungschef: «Und dann müssen wir den Brexit bewerkstelligen.»

Angst vor dunkler Jahreszeit

Erst am Montag war Johnson mit seinem dritten Anlauf gescheitert, eine Neuwahl nach dem geltenden Recht durchzusetzen. Dazu hätte es eine Zweidrittelmehrheit der 650 Abgeordneten gebraucht. Die Oppositionsfraktionen begründeten ihre Ablehnung mit der Tatsache, dass der Regierungs-

chef den Wahltermin nach Auflösung des Parlaments noch hätte ändern können. «Diesem Premierminister kann man nicht trauen», argumentierte Labour-Chef Jeremy Corbyn.

Mit der gestrigen Abstimmung haben Corbyn und seine Verbündeten diese Angst aus dem Weg geräumt. Sollte es wie geplant noch in dieser Woche sämtliche Hürden passieren und die symbolische Einwilligung der Königin erhalten, wäre der letztlich festgelegte Termin in Stein gemeisselt. Seit Jahrzehnten gehen die Briten stets Donnerstags an die Urne, weshalb dem Vorschlag der Regierung eine gewisse Logik innewohnt.

Die anfänglichen Einwände der oppositionellen Labour-Party gegen die Neuwahlen bezogen sich auf zwei Faktoren. Zum einen könnte die dunkle Jahreszeit – im Norden Schottlands ist es Mitte Dezember lediglich sechs Stunden lang hell – die Wahlbeteiligung beeinträchtigen, was traditionell der Arbeiterpartei stärker schadet als den Torys von Premierminister Johnson. Zum anderen machen sich Labour-Aktivisten Sorgen darüber, ob Studenten kurz vor dem vorweihnächtlichen Prüfungsstress der Wahl genug Aufmerksamkeit schenken. Letztlich aber merkten auch die Labour-Abgeordneten, dass es ohne Neuwahlen kein Vorwärtskommen beim Brexit gibt.

Was geblieben ist, sind die Zweifel an der Person des Parteivorsitzenden. Jeremy Corbyns Zustimmungswerte liegen Umfragen zufolge so niedrig wie bei keinem Oppositionsführer seit Labours Michael Foot, der die Wahl 1983 gegen die damalige Premierministerin Margaret Thatcher haushoch verlor. Auch mangelt es der Brexit-Position der Partei an Klarheit. Während der Chef selbst sowie sein engstes Führungsteam langjährige EU-Skeptiker sind, wünschen sich drei Viertel der Mitglieder den EU-Verbleib.

Wahlen sind «riskantes Glücksspiel»

Auch viele Torys sehen dem Herbstwahlkampf mit gemischten Gefühlen entgegen. Zwar liegt ihre Partei in Umfragen rund zehn Prozent vor Labour. Doch gelten diese Umfragen Wissenschaftern zufolge als wenig aussagekräftig, weil die Wählerschaft rascher als früher ihre Meinung ändert. Als Johnsons Vorgängerin Theresa May im Frühjahr 2017 vorzeitig an die Urnen rief, betrug der Tory-Vorsprung auf Labour rund 20 Prozent. Am Wahltag lag die Regierungspartei nur noch zwei Prozentpunkte vor Labour. Johnson lasse sich auf «das riskanteste Glücksspiel der jüngsten Geschichte» ein, glaubt Politikprofessor Robert Ford von der Uni Manchester.

Einflussreiche Abgeordnete kritisierten die Entscheidung, das Wahlvolk erneut an die Urne zu rufen. Die Regierung hätte das Ratifizierungsverfahren für den Austrittsvertrag vorantreiben sollen, gab der Alterspräsident des Unterhauses, Kenneth Clarke, zu Protokoll. «Nicht das Parlament, sondern Johnson verzögert den Brexit.»