Die von London gewünschte Übergangszeit nach dem Brexit soll nach einem EU-Beschluss kurz sein. London muss dann das EU-Recht ohne Mitspracherecht akzeptieren.
In der knapp zweijährigen Übergangsphase zwischen Brexit und einem neuen Freihandelsabkommen soll Grossbritannien zu einem passivem EU-Mitglied werden. So steht es in den Verhandlungsleitlinien, welche die EU-Mitgliedstaaten gestern verabschiedet haben. London muss sich demnach auch nach März 2019 an EU-Gesetze halten, neue Rechtsprechung automatisch übernehmen und unverändert ins EU-Budget einzahlen – ohne jedoch Mitspracherecht zu haben. In den entsprechenden Gremien soll London nur noch als Beobachterin sitzen. Auch die «vollständige Rechtsprechung» des EU-Gerichtshofs müsse London respektieren, heisst es in den gestern beschlossenen Leitlinien.
Im Gegenzug darf Grossbritannien unverändert am Binnenmarkt teilnehmen. Bereits ab März 2019 verlieren die Briten ihre 73 EU-Parlamentarier, auch ihre Minister dürfen dann nicht mehr an den Sitzungen in Brüssel teilnehmen. In der Praxis entspricht dieser Status weitgehend jenem von Ländern des Europäischen Wirtschaftsraums. Im EWR-Staat Norwegen zum Beispiel spricht man oft von «pay and no say».
Was den Norwegern recht ist, ist den Brexit-Hardlinern ein Graus. Deren lautester Wortführer ist zurzeit der Unterhaus-Abgeordnete Jacob Reese-Mogg. Vergangene Woche erneuerte er seine Warnung, das Vereinigte Königreich werde zu einem «Vasallenstaat» der EU. Rückendeckung für seine Kritik bekam er von US-Präsident Donald Trump: Er attestierte der Regierung in London gegenüber einem britischen TV-Sender Verhandlungsschwäche. «Ich hätte gesagt, dass die EU die Erwartungen nicht erfüllt hat, und ich hätte eine härtere Position eingenommen.»
Grossbritanniens Premierministerin Theresa May und Brexit-Minister David Davis sind darauf angewiesen, dass die Gespräche über ein künftiges Handelsabkommen möglichst bald losgehen. London will mit der EU und all jenen Drittländern Freihandelsabkommen aushandeln, mit jenen es derzeit über Brüssel verbunden ist. In Sachen automatischer Rechtsübernahme in der Übergangsphase stellen sich für Grossbritannien ähnliche Probleme wie für die Schweiz bei der Debatte um das institutionelle Rahmenabkommen. Davis sagte gestern, er wolle sich für einen Mechanismus zur «Überprüfung» einsetzen, falls London Gesetze nicht übernehmen wolle. Sein EU-Gegenpart Michel Barnier stellte hingegen in Brüssel klar: «Grossbritannien muss die Regeln des Spiels akzeptieren, ansonsten gehen wir in Richtung Binnenmarkt à la carte.»
Ganz ohne Mitsprache wird Grossbritannien wohl nicht bleiben. «Von Fall zu Fall» können britische Minister und Experten zu Sitzungen eingeladen werden und ihre Positionen einbringen. Das erinnert an das «Decision Shaping», in dessen Rahmen die Schweiz an den Tagungen der Innen- und Justizminister teilnimmt. Die Schaffung eines «Schweizer Paragrafen» im neuen EU-Waffenrecht zeigt, dass dort Anliegen durchaus eingebracht werden können. Tatsache ist aber, dass Erfolg und Misserfolg vom guten Willen der Mitgliedstaaten abhängt.
Remo Hess, Brüssel