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Heiner Geissler sagt im Interview, warum eine vierte Amtszeit von Kanzlerin Angela Merkel in seinen Augen gut wäre. Und er äussert sich über die Flüchtlingskrise und ein Burka-Verbot.
Heiner Geissler: Sie hat es bis jetzt nicht ausgeschlossen. Aus diesem Grunde nehme ich an, dass sie auch wieder antreten wird. Ich wünsche mir das auch.
Weil die Kanzlerin die richtige Politik verfolgt. Sie wird auf der ganzen Welt gerühmt, von Barack Obama, Ban Ki Moon, vom Papst als vorbildlich dargestellt. Die Deutschen sind bekannt für ihre wirtschaftliche Effizienz und ihren Fortschritt. Jetzt hat Deutschland durch die Kanzlerin eben auch ein menschliches Gesicht gezeigt. Und damit auch anderen Ländern klar gemacht, dass man Effizienz und ökonomische Erfolge verbinden kann mit einer Politik, die sich an den Menschen orientiert. Wir haben die Pflicht als zivilisierte Europäer, denen zu helfen, die in Not sind. Das ist keine Gesinnungsduselei. Wer das nicht anerkennt, hat sonntags in der Kirche nichts verloren. Das gilt übrigens auch für einige Ihrer Landsleute.
Heiner Geissler: Ich mache mir Sorgen, aber nicht deswegen. Die Partei, die im Bund an der Regierung ist, hat in den zwischen den Bundestagswahlen liegenden Landtagswahlen immer verloren. Das zeigen die Erfahrungen der letzten 65 Jahre.
In Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg hat sich die dortige CDU-Führung anstecken lassen vom Defaitismus und der Obstruktion der bayerischen CSU. Die beiden Spitzenkandidaten waren erkennbar auf Distanz zu Angela Merkel gegangen. Das hat auf die Leute einen schlechten Eindruck gemacht.
Zunächst einmal finde ich die Forderung nach einem Burka-Verbot notwendig. Aber diese Forderung haben die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner und unter vielen anderen auch ich schon seit einem Jahr erhoben; sie hat in der CDU eine breite Mehrheit. Die Burka ist nicht von Gott verordnet, sondern eine Erfindung von Mullahs und Ajatollahs und sonstigen Machos im Islam. Die Frage nach einer Obergrenze allerdings ist eine künstliche Frage. Die Problematik ist aus der Unfähigkeit zu differenzieren entstanden. Menschen, die um Asyl nachsuchen, können nicht von vorneherein aufgrund einer statisch gezogenen Grenze abgewiesen werden. Die über den Daumen gepeilte Grenze von 200 000 Menschen ist willkürlich. Jede Partei nennt eine andere Zahl.
Den Bruch vollzieht die CSU, wenn es so weitergeht. Die CSU hat etwas gemacht, was nicht einmal Franz-Josef Strauss in den Sinn kam: Sie hat ihre Schwesterpartei massiv angegriffen und ist ihr mehrmals in den Rücken gefallen. Dadurch hat sie natürlich viele Anhänger der CDU irritiert. Einige CDU-Mitglieder haben sich gedacht: Wenn Horst Seehofer oder Edmund Stoiber sagen, wir schaffen das nicht, dann muss ja etwas dran sein. Wenn die CSU damit nicht aufhört, gefährdet sie natürlich die Chancen der CDU in der Bundestagswahl. Und dann muss die CDU reagieren.
Sie kann dadurch am besten reagieren, dass die CSU am eigenen Leibe merkt, welchen Schaden sie anrichtet. Wenn die CDU in Bayern eigene Kandidaten aufstellt, ist es natürlich mit dieser Allmachtfantasie der CSU-Führung vorbei.
Die CSU-Führung um Horst Seehofer hat sich als Stichwortgeberin für die Rechtsradikalen herabgelassen. Die AfD braucht sich in der Flüchtlingspolitik gar keine eigenen Gedanken mehr zu machen. Sie muss nur wiederholen, was die CSU-Spitze in den letzten Monaten gegen die Kanzlerin gesagt hat.
Sie ist eine rechtsradikale Partei. Und sie ist vor allem eine Partei, die jedes ethische Fundament verloren hat. Sie will im Grunde genommen das Grundgesetz ersetzen durch einen Neo-Nationalismus. Überhaupt ist der Nationalismus – nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich, der Schweiz, in den osteuropäischen Staaten – zu einer Ersatzreligion geworden. Eine Ersatzreligion, die uns um fast 200 Jahre zurückwirft. Denn der Nationalismus war die Ursache für zwei Weltkriege.
Man muss unterscheiden zwischen der Partei und den Menschen, die die Partei gewählt haben. Viele, die jetzt für die AfD gestimmt haben, haben sich früher der Stimme enthalten. Jetzt haben sie eine Protestpartei gewählt. Diese Leute sind keine Rechtsextremen, die die Demokratie abschaffen wollen. Aber sie haben eine rückwärtsgewandte Gesinnung.
Das Gerede vom Linksrutsch der CDU ist eine Soziologenweisheit, die nicht stimmt. Die CDU ist nie eine konservative Partei gewesen, sondern eine christlich-demokratische Partei. Das Argument vom Linksrutsch brauchen die politischen Gegner der CDU, die die Partei von der Mitte wegrücken wollen, und eine Reihe von Rechtskonservativen in der CDU selber. Aber die Kanzlerin ist Naturwissenschaftlerin und hat infolgedessen auf die Veränderungen in der Gesellschaft absolut entsprechend reagiert.
Ihre Entscheidung, die in Ungarn festsitzenden Flüchtlinge aufzunehmen, war richtig. Sie konnte nicht zusehen, wie unter einer faschistoiden Führung von Viktor Orbán Leute auf der Strasse verhungert oder erfroren sind. Das war ein einmaliges Ereignis. Sie hat stets betont, dass dieser Flüchtlingsstrom so nicht weitergehen darf. Aber dafür müssen die Ursachen der Flüchtlingsströme beseitigt werden.
Heiner Geissler (86) war zwischen 1977 bis 1989 CDU-Generalsekretär und von 1982 bis 1985 Minister für Jugend, Familie und Gesundheit im Kabinett von Kanzler Helmut Kohl.