Frankreich
«Charlie Hebdo»-Attentäter waren ferngesteuert

Neu aufgetauchte E-Mails belegen, dass die Terroristen, die Anfang 2015 einen Anschlag auf das Satiremagazin «Charlie Hebdo» verübten, nicht allein handelten.

Stefan Brändle, Paris
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Blumen vor dem "Charlie-Hebdo"-Sitz in Paris. (Archiv)

Blumen vor dem "Charlie-Hebdo"-Sitz in Paris. (Archiv)

Keystone

Die Attentäter, die zu Jahresbeginn die Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» und einen jüdischen Supermarkt in Paris angriffen, handelten nicht allein. Die Zeitung «Le Monde» publizierte in ihrer Wochenendausgabe mehrere E-Mails, die Ermittler auf einem Computer des Geiselnehmers Amédy Coulibaly gefunden haben. Ihr Inhalt lässt die Anschläge mit insgesamt 17 Todesopfern in einem neuen Licht erscheinen.

Bisher war nur bekannt, dass sich die Brüder Kouachi und Coulibaly untereinander abgesprochen hatten. Die drei kannten sich aus dem Gefängnis, wo sie sich unter dem Einfluss von Islamisten radikalisiert hatten. Einer von ihnen, Saïd Kouachi, war 2011 zu einer Kampfausbildung nach Jemen gereist. Doch die Anschläge auf die «Charlie»-Redaktion und den jüdischen Laden hatten sie nach Erkenntnissen der Polizei selber organisiert und durchgeführt.

Die E-Mails machen nun klar, dass die Doppelaktion von aussen gesteuert war. Geiselnehmer Coulibaly erhielt jedenfalls genaue Anweisungen, welche die Ermittler am ehesten einem französischen Mitglied der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien zuordnen. «Ok, tu, was du heute zu tun hast» («Ok, fé ske ta a fair aujourd’hui»), erklärte ein Auftraggeber in typischem Banlieue-Französisch. Während die Kouachi-Brüder an jenem Tag die «Charlie»-Redaktion heimsuchten, handelte Coulibaly im Alleingang: Zuerst schoss er – zu Übungszwecken? – auf einen Jogger in der Nähe seiner Wohnung, danach tötete er in Paris-Montrouge eine Polizistin, während die Kouachis auf der Flucht waren.

Kommunikation per Mail

Per E-Mail wurde ihm mitgeteilt, er werde «bald Anweisungen» erhalten, wie er weiter vorzugehen habe. Unter anderem müsse er «in einem Video erklären, dass du Zigoto im Namen von ‹d› hilfst». Die Ermittler vermuten, dass mit «Zigoto» die Gebrüder Kouachi und mit «d» die Terrormiliz IS – in Frankreich «Daesh» genannt – gemeint waren.

Coulibaly informierte seinen anonymen Befehlsgeber seinerseits, wie viele Waffen er hatte: «Ein Sturmgewehr AK74 mit 275 Patronen, sechs Tokarev-Pistolen mit 69 Patronen, drei kugelsichere Westen, zwei Tränengassprays und zwei Messer.» Am 8. Januar wurde er zu seiner wichtigsten Mission losgeschickt. «Freunde unmöglich, allein arbeiten», erhielt er unter anderem mitgeteilt. Tags darauf, am 9. Januar, als sich die Brüder Kouachi östlich von Paris in einer Fabrik verschanzt hielten, stürmte Coulibaly den jüdischen «Hyper cacher» und brachte vier Menschen um, bevor er Stunden später selber von Elitepolizisten erschossen wurde.

Wer ist der Auftraggeber?

Wer der ominöse, offensichtlich frankophone Auftraggeber sein könnte, ist ein Hauptgegenstand der Ermittlungen. Am häufisten genannt wird der Name Salim Benghalem. Der 35-jährige Franzose stammt aus dem Pariser Vorort Cachan und kannte einen der Kouachi-Brüder, Chérif, sowie Coulibaly. Auch stand er in Verbindung zu Radikalislamisten des «Netzwerks Buttes-Chaumont», das junge Franzosen in den irakischen Dschihad vermittelte. 2012 reiste Benghalem selber nach Syrien. Mehrere westliche IS-Geiseln erkannten in ihm einen ihrer Wächter. Die USA führten ihn 2014 auf einer Liste der zehn gefährlichsten IS-Kämpfer. Dem Vernehmen nach haben französische Kampfjets schon Luftanschläge mit dem Ziel lanciert, Benghalem zu neutralisieren.