Provokativ
«Charlie Hebdo» - ein Monument der Satire

Das französische Wochenmagazin «Charlie Hebdo» ist nicht islamkritisch. Es ist generell kritisch.

Daniel Fuchs
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Die Kritik richtet sich gegen sämtliche Religionen, wie diese Titelseiten zeigen: Die Scharia-Spezialausgabe mit Mohammed als Chefredaktor, die Geburt Jesu und eine jüdisch-muslimische Freundschaft (v. l.).

Die Kritik richtet sich gegen sämtliche Religionen, wie diese Titelseiten zeigen: Die Scharia-Spezialausgabe mit Mohammed als Chefredaktor, die Geburt Jesu und eine jüdisch-muslimische Freundschaft (v. l.).

zvg

Mehrere Zeichner von «Charlie Hebdo» lebten schon länger unter Polizeischutz. Stéphane Charbonnier, der am Mittwoch getötete Chefredaktor, wurde im Herbst von einem Polizisten in die Westschweiz eskortiert, um an einer Debatte über die Pressefreiheit teilzunehmen.

Das Magazin exponierte sich immer wieder mit islamkritischen Publikationen. So zum Beispiel im Zuge des sogenannten Karikaturenstreits von 2006, als Mohammed-Karikaturen dänischer Künstler für wüste Ausschreitungen in der islamischen Welt und für Drohungen in europäischen Redaktionsstuben sorgten.

IS-Dschihadist als Lachnummer

«Charlie Hebdo» druckte die dänischen Karikaturen auch in Frankreich ab. Darunter etwa eine Zeichnung des Propheten Mohammed, unter dessen Turban die Zündschnur einer Bombe hervorschaute.

Im Nachgang zu einer Scharia-Spezialausgabe wurden im November 2011 in Paris die Redaktionsräume bei einem Brandanschlag verwüstet. Hacker legten zudem die Website von «Charlie Hebdo» lahm. Die Titelseite der Sondernummer hatte den fiktiven Chefredaktor Mohammed gezeigt. In seiner Sprechblase stand: «100 Peitschenhiebe jenen, die sich nicht totlachen.» Der richtige Chefredaktor Charbonnier hatte die ersten 40 Lebensjahre Mohammeds in einem Comic nacherzählt. Darin durfte der Prophet auch nackt nicht fehlen.

Charbonnier rechtfertigte die Mohammed-Karikaturen mit dem Hinweis darauf, Kritik am Islam müsse so banal werden wie jene an Juden oder Katholiken. Auf religiöse Gefühle mochten die Macher von «Charlie Hebdo» nie Rücksicht nehmen.

Die aktuelle Ausgabe ist wieder dem Islam gewidmet, nimmt aber in erster Linie den französischen Skandalschriftsteller Michel Houellebecq aufs Korn, der in seinem gestern veröffentlichten Buch die Angst vor der angeblichen Islamisierung in Frankreich auf die Spitze treibt.

Kultig sind auch die Videobeiträge des fiktiven, zum Islam konvertierten Dschihadisten Abdelkader ben Charmouta. In seinen Beiträgen mimt er einen nach Syrien gereisten Gotteskrieger, wo er im Dienste der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sein Unwesen treibt. Absurd: Im Hintergrund seiner Videobotschaften erkennt man die IS-Flagge und eine Kalaschnikow, die an der Wand lehnt. Just jene Wänden also, in denen nun mutmassliche Syrien-Rückkehrer Redaktionskollegen und Polizisten erschossen haben?

Das Magazin macht vor keiner Religion Halt. Es ist ein Monument der Satire. Es macht nicht islamkritische Satire, sondern generell Satire. «Die Kritik von ‹Charlie Hebdo› richtet sich gegen alle Religionen, nicht nur gegen den Islam», sagt der Westschweizer Karikaturist Raymond Burki zur «Nordwestschweiz». So zeigt eine vor Weihnachten veröffentlichte Ausgabe auf ihrer Titelseite Maria, die unter viel Schall und Rauch und in Gynäkologenposition den kleinen Jesus in die Welt hinauskatapultiert.

Ein belächelter Landesvater

Raymond Burki, der kurz nach den Studentenrevolten von Paris im Jahr 1968 in Paris lebte, trauert um die getöteten Kollegen. Einige von ihnen hat er persönlich gekannt. Im Nachgang zu den Studentenunruhen und der 68er-Bewegung wurde «Charlie Hebdo» erst gegründet. Sein Vorgänger, das Monatsheft «Hara-Kiri» hatte mit seiner Kritik am vorherrschenden Katholizismus und französischen Gaullismus überhaupt den Weg für die Studentenbewegung geebnet. Das Heft gab es seit 1960. 1969 kam eine wöchentliche (hebdo) Ausgabe hinzu. Immer wieder nahm es den Staatspräsidenten und Gaullisten Charles de Gaulle aufs Korn.

Auch, nachdem dieser 1970 starb: Just acht Tage vor de Gaulles Tod waren in seinem letzten Wohnort Colombey-les-deux-Eglises 146 Menschen bei einem Brand in einem Nachtclub ums Leben gekommen. Die Satiriker erlaubten sich den bösen Spass, auf der Titelseite ein Bild der Katastrophe mit der Schlagzeile «Tragischer Tanzabend in Colombey, ein Toter» zu versehen. Grund genug für das französische Innenministerium, die Publikation zu verbieten.

Um das Verbot zu umgehen, schuf die Redaktion kurzerhand einen neuen Namen. «Charlie» sollte sich auf den verstorbenen Charles de Gaulle beziehen. «Charlie Hebdo» war geboren.