Corona
Deutschland diskutiert über weitere Massnahmen: «Werden am Ende um eine allgemeine Impfpflicht nicht herumkommen»

Die Corona-Zahlen steigen und steigen, doch die Impfquote verändert sich kaum. Nun wird auch für Deutschland eine Impffplicht ins Spiel gebracht.

Christoph Reichmuth, Berlin
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Deutschland will die Impfquote steigern - nun wird über eine Impfpflicht debattiert.

Deutschland will die Impfquote steigern - nun wird über eine Impfpflicht debattiert.

Hanspeter Bärtschi / 15.11.2021

Es war Mitte Juli dieses Jahres, als Kanzlerin Angela Merkel sagte: «Wir wollen keine Impfpflicht, sondern wir werben für das Impfen.»

Nun könnte dieses Versprechen gebrochen werden - wenn auch nicht von Merkel selbst. Die Corona-Infektionen steigen in Deutschland in hohem Masse täglich an, am Montag verzeichnete das Robert Koch-Institut (RKI) mehr als 30'000 Neuinfektionen mit dem Virus, die Inzidenz liegt landesweit bei fast 390 Ansteckungen auf 100'000 Einwohner innerhalb von einer Woche. In manchen Landkreisen in Sachsen oder Bayern ist die Inzidenz geradezu explosionsartig gestiegen, sie liegt in einigen Regionen bei über 1000 Ansteckungen. Krankenhäuser klagen in einigen Bundesländern über eine Überbelegung ihrer Intensivstationen.

Gleichzeitig harzt es bei der Impfbereitschaft des noch immer ungeimpften Teils der Bevölkerung - mehr als 30 Prozent der Bevölkerung sind nicht vollständig gegen das Virus geschützt. Der kommissarisch amtierende Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rief am Montag in der Bundespressekonferenz mit fragwürdiger Dramatik zur Impfung auf.

«Wahrscheinlich wird am Ende dieses Winters jeder in Deutschland – etwas zynisch genannt – geimpft, genesen oder gestorben sein.»

Mehrere Politiker bringen nun für Deutschland eine Impfpflicht nach österreichischem Vorbild ins Spiel. Am Montag hat sich die Spitze der bayerischen CSU geschlossen für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen. «Ich glaube, dass wir am Ende um eine allgemeine Impfpflicht nicht herumkommen werden», sagte CSU-Chef Markus Söder. Auch Vertreter der Schwesterpartei CDU zeigen sich offen für eine Impfpflicht. «Unser Land darf nicht dauerhaft von dieser Pandemie dominiert werden», meinte der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther. Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hält eine Impfpflicht für angebracht. Gegenüber der «Bild» sagte der Sozialdemokrat:

«Ich würde das auf keinen Fall mehr ausschliessen und tendiere dazu, zu sagen: Das hilft jetzt nicht akut, aber wir müssen uns der Impfpflicht nähern.»

Die Delta-Variante des Coronavirus sei zu ansteckend, um die Pandemie mit der gegenwärtigen Impfquote von unter 70 Prozent unter Kontrolle zu bekommen.

Müssen uns der Impfpflicht nähern - SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, hier bei einer Rede im Bundestag.

Müssen uns der Impfpflicht nähern - SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, hier bei einer Rede im Bundestag.

Clemens Bilan / EPA/18.11.2021

Eine Impfpflicht in Deutschland liesse allerdings auf sich warten und würde kaum vor Frühjahr in Kraft treten. Aktuell regiert Kanzlerin Angela Merkel mit ihrem Kabinett lediglich geschäftsführend. Merkel will sich daher aus der aktuellen Debatte heraushalten. «Eine Entscheidung darüber gibt es jetzt nicht und sie würde auch von dieser Bundesregierung nicht mehr gefällt», sagte Merkels Sprecher Steffen Seibert am Montag.

Vorbehalte aus der FDP: «Halten sie für verfassungswidrig»

Eine verpflichtende Corona-Impfung für alle müsste die neue Bundesregierung auf den Weg bringen. Die «Ampel»-Koalition aus SPD, Grünen und der FDP unter Führung des Genossen Olaf Scholz könnte noch vor Weihnachten ihre Arbeit aufnehmen. Ob die nächste Bundesregierung eine solch hoch umstrittene Impfpflicht tatsächlich durchsetzt, ist fraglich. Zwar zeigen sich Vertreterinnen und Vertreter von SPD und Grünen für ein solches Gesetz offen, doch dass die Freien Demokraten Hand bieten für eine Impfpflicht, ist wenig wahrscheinlich. Die FDP setzt in der Pandemiebekämpfung auf einen Weg möglichst grosser Freiheiten für jeden Einzelnen. «Wir halten sie für verfassungswidrig», kommentierte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Michael Theurer eine mögliche Impfpflicht.

Ob eine Impfpflicht in Deutschland tatsächlich kommt, ist ungewiss. Früher dürfte hingegen eine Impfpflicht für gewisse Berufsgruppen erlassen werden. Die «Ampel»-Vertreter wollen eine solche Pflicht für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Pflege- und Altenheimen erlassen. Selbst FDP-Chef Christian Lindner ist dafür:

«Inzwischen haben sich Bund und Länder für eine einrichtungsbezogene Impfpflicht ausgesprochen. Sie wird deshalb kommen.»