Deutschland
«Dann ist das nicht mein Land»

Ein emotionaler Auftritt der Bundeskanzlerin Angela Merkel sorgt für Wirbel. Die deutsche Kanzlerin ist fest entschlossen, die Flüchtlingskrise in Angriff zu nehmen.

Christoph Reichmuth, Berlin
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Will nächste Woche ein EU-Treffen: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel KEY

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Einen solch emotionalen Auftritt hat Kanzlerin Angela Merkel lange nicht hingelegt. Die Flüchtlingskrise, das ist augenscheinlich, geht der 61-jährigen CDU-Chefin nahe. Deutschland zu unterstellen, mit einer übertriebenen Aufnahmebereitschaft die Krise zusätzlich verschärft zu haben, sei falsch. «Wenn wir anfangen müssen, uns zu entschuldigen, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land», sagte Merkel bei einer Pressekonferenz mit dem österreichischen Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) gestern in Berlin.

Merkel ist sichtlich stolz auf das Signal, das von ihrem Land ausgegangen ist. Von den Bildern der Münchner Bevölkerung, welche Flüchtlinge am Hauptbahnhof warm in Empfang genommen hatten. «Da hat die Welt gesagt: Das ist aber eine schöne Geste!» Auch der Vorwurf, Deutschland habe durch ungeprüfte Aufnahme von in Ungarn festsitzenden Flüchtlingen Dublin ausser Kraft gesetzt, ziele ins Leere: Man könne Deutschland nicht anlasten, «dass wir keinen nach Ungarn zurückgeschickt haben», so Merkel weiter.

«Nicht bis Mitte Oktober warten»

Merkel und ihr österreichischer Kollege Faymann machten gestern deutlich, dass sich Europa in der Flüchtlingskrise kein Zögern mehr erlauben kann. Die Kanzlerin und der Kanzler haben EU-Ratspräsident Donald Tusk telefonisch dazu aufgefordert, einen EU-Sondergipfel für nächste Woche einzuberufen. «Wir können nicht bis Mitte Oktober warten», sagte Merkel. Bei dem Treffen der 28 Staats- und Regierungschefs soll unter anderem besprochen werden, wie die Herkunftsländer der Flüchtlinge besser unterstützt werden können. Teil der Lösung müsse auch die Türkei sein. Zudem soll über Brennpunktzentren für Flüchtlinge an den europäischen Aussengrenzen in Griechenland und Italien gesprochen werden. In diesen «Hotspots» sollen Flüchtlinge registriert und von dort auf die EU-Staaten verteilt werden. Wirtschaftsflüchtlinge hingegen würden bei solchen Aussenzentren direkt abgewiesen. Den Flüchtlingen müsste zudem deutlich gemacht werden, dass «man sich nicht aussuchen kann, wo man hin will».

Potenzial, EU zu gefährden

Merkel verzichtete darauf, die mageren Resultate der EU-Innenministerkonferenz vom Montagabend offen zu kritisieren. Vielmehr ging sie auf Distanz zu einer von ihrem Innenminister Thomas de Maizière (CDU) geäusserten Drohung, Länder, die sich gegen eine Quoten-Regel stellen, zu sanktionieren – etwa, indem die EU Fördermittel streiche. Man brauche einen europäischen Geist, der nicht durch Drohungen herzustellen sei, so die Kanzlerin. Bislang habe die EU stets in Gesprächen Lösungen gefunden. Merkel: «Ich sage wieder und wieder: Wir können das schaffen, und wir schaffen das.» Auch der österreichische Kanzler Faymann mahnte eine gemeinsame Lösung an: Es könne nicht sein, dass Deutschland, Schweden und Österreich das Problem alleine lösen müssten. Die Flüchtlingskrise habe das Potenzial, die EU als Projekt zu gefährden. Die EU müsse beweisen, dass sie jetzt genauso viel investieren wolle wie bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise, «wo wir uns jeden dritten Tag getroffen haben.»