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International
Es reicht schon die Ankündigung von Öffnungsschritten, dass die Bevölkerung nachlässiger in Sachen Hygiene und Social Distancing wird. Das zeigen Studien aus Skandinaven. Dänemark zieht die Schraube deshalb bereits wieder an.
In ganz Europa beginnen in diesen Tagen die Lockerungen nach dem Coronalockdown. Dass jetzt erste Massnahmen vollzogen und weitere angekündigt sind, hat rasch Auswirkungen, wie sich in Skandinavien zeigt. Allein schon die Aussicht auf weniger Restriktionen führt dazu, dass die Disziplin bezüglich Händewaschen und Social Distancing nachlässt. Dies ergibt eine Studie der Universität Aarhus in Dänemark, die in regelmässigen Abständen repräsentative Umfragen zum Verhalten durchführt.
Im Lockdown, so zeigt sich, sind die Regeln zunächst immer besser beachtet worden: Ende März gaben 71 Prozent der Befragten an, sie hätten ihr Verhalten gegenüber dem früheren Alltag «stark geändert»; 25 Prozent hatten das zu einem «gewissen Grad» getan.
Der Wert «stark verändert» blieb hoch, als die Regierung am 4. April die erste Öffnung ankündigte. Dann sank er stetig, am tiefsten in der Woche der Schulöffnungen auf 58 Prozent. Zuletzt gab es eine Stabilisierung zwischen 60 und 65 Prozent. Frauen und ältere Personen sind dabei disziplinierter als Männer und jüngere Personen.
Gleichzeitig mit der Öffnung der Schulen und Coiffeursalons stieg auch die Anzahl Personen ausserhalb der Familie, die die Befragten trafen. Michael Bang, Verhaltensforscher und Leiter der Studie aus Aarhus, glaubt, dass zwei Faktoren für die Entwicklung verantwortlich sind: Die Leute schauten auf die rückläufigen Ansteckungszahlen, «das macht sie sorglos», sagt er. Zudem sei das ständige Distanzhalten anstrengend, «auch für jene, die finden, die Situation sei nach wie vor ernst.» Da die dänische Regierung auf den 10. Mai neue Lockerungen angekündigt hat, könnte dies die Nachlässigkeit weiter verstärken – eine gefährliche Entwicklung, so Bang, denn steigen die Ansteckungen, merkt man das erst zeitverzögert.
Ähnliche Entwicklungen sieht man auch in Norwegen, wo Handydaten die Reduktion der Bewegungsaktivität der Bevölkerung aufzeigen. Betrug diese zu Beginn des Lockdown noch einen Drittel des Normalen, fiel sie nach Ostern auf zwei Drittel zurück – noch bevor die Restriktionen gelockert wurden.
In Schweden, das weniger Einschränkungen verfügt hat, zeigt die Entwicklung dagegen laut einer wochenweise durchgeführten Umfrage eher in die andere Richtung: Die Schwedinnen und Schweden halten sich zunehmend mehr an die Distanz- und Hygieneregeln. Dies könnte eine Folge der im Vergleich zu den anderen Ländern weiterhin hohen Todeszahlen und Spitalbelegungen sein.
Bewegungsdaten ergeben, dass viele Personen nach wie vor freiwillig im Homeoffice arbeiten: In Stockholm etwa waren in den Stosszeiten 78 Prozent weniger Leute unterwegs als noch im Januar. Am Abend dagegen, bei den «Freizeitbewegungen», nähern sich die Werte in Schweden dem Normalzustand.
In Dänemark betrachten die Behörden die neue Lockerheit mit Besorgnis. Denn das Ziel ist eine «sehr vorsichtige» Öffnung, um die Ausbreitung der Ansteckungen ganz langsam zuzulassen. Deshalb wurden starke Einschränkungen im Schulbetrieb verfügt – Absperrungen und Aufteilungen in Kleinstgruppen, was zu Platzproblemen führt. Mit einigen Geschäften gibt es Konflikte über Abstandsregeln: Ikea hatte juristisch abgeklärt, dass eine Öffnung in Ordnung sei – musste sich aber dennoch von Wirtschaftsminister Simon Kollerup kritisieren lassen, es sei verfrüht. Auch vier Zoos kündigten an, ihre Tore am 1. Mai wieder zu öffnen, wurden aber von den Gesundheitsbehörden zurückgepfiffen.
Die Polizei hat in den Städten Gebiete abgesperrt, nachdem sich bei schönem Wetter zu viele Personen versammelt hatten. Auch werden Bussen in Höhe von 350 Franken neu ohne Vorwarnung verteilt; dass dabei auch zwei am Rand einer Absperrzone auf ein Kursschiff wartende Männer sowie zwei Familien mit Kindern gebüsst wurden, hat in der Öffentlichkeit für Kopfschütteln gesorgt.
Die Regierung droht derweil damit, die Öffnung zu verlangsamen. Denn die Behörden haben aufgrund von Tests und Modellen berechnet, dass der Reproduktionsfaktor leicht gestiegen ist, dass sich das Virus also wieder rascher ausbreitet. Regierungschefin Mette Frederiksen hat gewarnt, sie werde auch beim nächsten Schritt ab dem 10. Mai zurückhaltend sein.