Der Brexit bleibt ein Nervenkrieg bis zum Schluss

Die EU und Grossbritannien wollten eigentlich Mitte dieser Woche eine Einigung beim Brexit-Austrittsabkommen erzielen. Der letzte Schritt erweist sich nun jedoch als der schwierigste.

Remo Hess, Brüssel
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Deal or no Deal? Theresa May bei einer Rede in Birmingham. (Neil Hall/EPA, 3. Oktober 2018)

Deal or no Deal? Theresa May bei einer Rede in Birmingham. (Neil Hall/EPA, 3. Oktober 2018)

«Wie in einem Tunnel» – so fühlten sich die Brüsseler Brexit-Verhandler und ihre britischen Kollegen in den vergangenen Tagen. Mit Hochdruck wurde am Text des EU-Austrittsabkommens des Vereinigten Königreichs gefeilt. Es sind die letzten Stunden der Verhandlungen. Klar ist: Beide Seiten wollen einen Deal kurz vor dem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs am Mittwoch.

«Es ist jetzt Zeit für das Kabinett, seine kollektive Autorität geltend zu machen»: Ex-Brexit-Minister David Davis

Übers Wochenende zeichnete sich zumindest zeitweise deutlich das Licht am Ende des Tunnels ab. Auf technischer Ebene seien die Gespräche abgeschlossen, berichteten mehrere Medien mit Verweis auf Diplomatenkreise. Am Montagmorgen hätte sich das Kabinett von Premierministerin Theresa May das Ergebnis anschauen sollen. Dasselbe gilt für die sogenannten «Sherpas», die persönlichen Mitarbeiter der EU-Staats- und -Regierungschefs. Doch dann traf der britische Brexit-Minister Dominic Raab am Sonntagnachmittag überraschend für ein Treffen mit seinem EU-Gegenpart Michel Barnier in Brüssel ein. Offenbar brachte er nochmals Einwände vor. Wie immer gilt: Nichts ist vereinbart, bis nicht alles vereinbart ist.

Vorschlag für Lösung der Nordirland-Knacknuss

Am härtesten zeigte sich bis zuletzt die Nordirland-Knacknuss. Für die EU ist es die höchste Priorität, dass es in der ehemaligen Bürgerkriegsregion zu keiner harten Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland kommt. Dafür fordert sie eine Garantie unabhängig von der Ausgestaltung der künftigen Beziehung zu London. Wie diese «Rückfallposition» beschaffen sein soll, wenn das Vereinigte Königreich den Binnenmarkt wie geplant verlässt, darüber wird noch immer gestritten.

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Die zuletzt meistdiskutierte Lösung hätte so ausgesehen: Nordirland erhielte einen Spezialstatus und würde in der EU-Zollunion und im EU-Binnenmarkt verbleiben. Die EU-Aussengrenze würde somit faktisch in die Irische See – also zwischen Nordirland und der britischen Hauptinsel – verschoben. Damit es dort möglichst zu keinen Kontrollen kommt, würde auch der Rest von Grossbritannien nach Ablauf der Übergangsfrist im Jahr 2021 vorübergehend in der Zollunion verbleiben. Zoll­inspektionen könnten dadurch auf ein Minimum reduziert und grösstenteils mit technischen Massnahmen erledigt werden.

Die Einhaltung von EU-Produktstandards könnte dezentral überprüft werden, beispielsweise bereits in den Fabriken im britischen Hinterland. Die einzigen Kontrollen würden sich noch auf lebendige Tiere und gewisse Produkte organischen Ursprungs konzentrieren. Solche finden zum Teil aber heute schon statt.

Die entscheidende Frage wird sein, ob Premierministerin Theresa May ihren Deal durchbringt. Mays Koalitionspartner von der nordirischen DUP hat bereits jeglicher Einigung eine Absage erteilt, die Nordirland in irgendeiner Form anders behandelt als den Rest des Königreichs. Der Verbleib Nordirlands im Binnenmarkt käme einer «Annexion durch die EU» gleich, so DUP-Chefin Arlene Foster.

May auch in der eigenen Partei in Bedrängnis

Und auch in ihrer eigenen Tory-Partei stehen für May die Zeichen auf Sturm. Ex-Brexit-Minister David Davis rief in einem Gastbeitrag in einer Sonntagszeitung seine ehemaligen Tory-Regierungskollegen auf, sich gegen Mays «völlig fehlerhaften» Plan zu stemmen. «Es ist jetzt Zeit für das Kabinett, seine kollektive Autorität geltend zu machen», so Davis. Der fragilen politischen Situation von Theresa May ist man sich natürlich auch in Brüssel bewusst. Entsprechend gehen die Vorbereitungen für einen «No Deal», einem ungeregelten Brexit Ende März 2019, unvermindert weiter. Das Gipfeltreffen im November, wo eigentlich eine gemeinsame Erklärung zum künftigen Verhältnis zu Grossbritannien unterzeichnet werden sollte, könnte zur Not schnell in einen «No Deal»-Gipfel umgewandelt werden.