Europäische Universität ist in Ungarn ein Feind im eigenen Land

Die Vertreibung der von George Soros gegründeten Central European University (CEU) aus Ungarn ist zum Zankapfel zwischen der EU und Viktor Orbán geworden. Der Staat geht auch gegen ein jüdisches Kulturzentrum vor. Ein Besuch bei den Gebrandmarkten.

Cedric Rehman
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Ungarische Demonstranten setzen sich ein für die Central European University (CEU). (Bild: Bernadett Szabo/Reuters, Budapest, 24. November 2018)

Ungarische Demonstranten setzen sich ein für die Central European University (CEU). (Bild: Bernadett Szabo/Reuters, Budapest, 24. November 2018)

Tibor Rácz rauchte eine Zigarette vor dem Gebäude der CEU in Budapests fünftem Bezirk, als ein Velofahrer vor ihm anhielt. Der Mann begann zu schimpfen: Söldner, Soros-Sklave, Feind Ungarns, ab mit ihm ins Ausland. Der Mann reihte ein böses Wort an das andere. Racz hatte irgendwann genug von den Beleidigungen, drückte seine Kippe aus und verschwand durch die Glastür ins Innere des Gebäudes. Eszter Szedlacsek vergass einmal, ihre Privatsphäreeinstellungen auf Facebook anzupassen. Sofort erschien der Kommentar: «Soros-Sklavin» unter dem Post. Szedlacsek drückte auf Löschen und schloss ihr Notebook.

Die beiden Studenten treffen sich vor dem Eingang der Universität an der Nádor-Strasse. Die Architektur des Campusanbaus wirkt, als sei ein Raumschiff gelandet. In einigen Metern Höhe erheben sich die drei Buchstaben CEU über einem Sockel. Als die 24-jährige Eszter Szedlacsek vor einigen Jahren noch Studentin der staatlichen Corvinus-Universität in Budapest war, war das Kürzel CEU eine Verheissung für ehrgeizige Studierende wie sie. Die 1991 von dem US-Milliardär George Soros gegründete Privatuniversität vergab Stipendien an Begabte. Wer die CEU meist mit amerikanischem Abschluss verliess, dem standen die besten Jobs offen. Szedlacszek lässt sich von Rácz Feuer geben. Er ist mit seinen 37 Jahren so etwas wie ein Spätberufener an der Eliteuniversität. Bevor die CEU ihn aufnahm, arbeitete er als Investigativreporter für die liberale Wochenzeitung «hvg» und als Ungarn-Korrespondent für die «tageszeitung». Beide sollten dem Selbstverständnis der CEU nach mal Führungskräfte für die Wirtschaft, Verwaltung oder die Medien Ungarns werden. Szedlacsek sagt dazu nur: «Ich haue ab aus diesem Land, das steht fest.»

Das Feindbild einer Regierung, die Feinbilder braucht

Der Zufall hat es gut gemeint mit Szedlacsek und Rácz. Beide werden im Sommer 2019 graduieren. Die CEU wird schon wenig später ihren Lehrbetrieb nach Wien verlegen. Die ungarische Regierung erliess 2017 ein Gesetz, das bald «Lex CEU» genannt wurde. Es gestattete ausländischen Universitäten den Betrieb in Ungarn nur noch, wenn es auch eine Dependance im Heimatland gibt. Die amerikanische CEU fand das Bard College im US-Bundesstaat New York als Partneruniversität und erfüllte die neue Bedingung. Der Staat New York bot sich als Vertragspartner für ein Abkommen an. Die Orbán-Regierung weigerte sich aber, das Abkommen mit dem Bundesstaat zu ratifizieren. Die CEU verkündete im Dezember letzten Jahres dann, dass sie nach Österreich umziehen werde. Ein Schock für Studenten, die noch einige Semester vor sich haben. Der geplante Umzug wird teuer und die Universität hat noch nicht erklärt, ob sie ihre Stipendien den österreichischen Lebenshaltungskosten anpassen wird. «Ich könnte mir ein Leben in Wien nicht leisten und ich glaube, die meisten ungarischen und internationalen Studenten auch nicht», sagt Szedlacsek. Ihr Kommilitone Rácz nickt.

Die beiden Studierenden berichten von einem Klima der Furcht auf dem Campus. Die Zuversicht, zu den Besten zu gehören, sei Angst gewichen. Schlagen Studenten die Zeitungen auf, sehen sie ihre Professoren wie Verbrecher auf Fahndungsfotos aufgelistet. «Das sind die Soros-Söldner» lautet die Schlagzeile. Dem Hass im Internet entzieht sich Eszter Szedlacsek, indem sie soziale Medien meidet. Tibor Rácz sagt, dass er als Journalist in Rom und Ungarn schon lange gelernt habe, auf Trolle und ihre Tiraden mit Humor zu reagieren.

Rácz und Szedlacsek haben unterschiedliche Erklärungen, warum die ungarische Regierung einer geschenkten Eliteuniversität samt den darin ausgebildeten Spitzenkräften die Tür weist. Rácz überlegt: «Zum einen mögen sie nicht die Art von Führungskraft, die hier ausgebildet wird. An der CEU lernen wir, lieber alles doppelt zu prüfen, bevor wir etwas glauben. Viele Absolventen haben sich als Journalisten oder Menschenrechtler gegen die Regierung gestellt», sagt er. Verschwinde die CEU, verliere nicht nur Ungarn, sondern ganz Mitteleuropa eine Schmiede, in der ein kritischer Geist geformt wird. Nicht nur Orbán, sondern vielen Regierungen in den früheren Warschauer-Pakt-Staaten sei das nur recht.

Aber es gebe noch einen wichtigeren Punkt, meint er. Viktor Orbáns Regierung lebe davon, gegen Feinde zu mobilisieren. Erst waren die Postkommunisten Ungarns Übel. Als die Sozialistische Partei MSZP am Boden lag, habe die Fidesz die muslimischen Geflüchteten und die Flüchtlingspolitik der EU entdeckt. Doch die Muslime aus Syrien blieben nach dem Weiterzug der Flüchtlingswelle von 2015 nach Deutschland und der Schliessung der ungarischen Grenzen weitgehend ein unsichtbares Schreckgespenst. «Also fand Orbán schliesslich Soros. Er war mal Spekulant, und noch viel besser, er ist Jude», sagt Rácz. Orbán verknüpfe verschiedene Feindbilder seiner Wähler auf einzigartige Weise: Das Misstrauen gegenüber der EU als neuen Hegemon, die Angst vor dem Verlust traditioneller Werte durch Globalisierung und Einwanderung, die Enttäuschung über den westlichen Kapitalismus.

Szedlacsek sieht ein anderes Motiv hinter der Kampagne gegen die CEU. Nicht alle Absolventen der Universität hätten nach ihrem Abschluss Posten in Nichtregierungsorganisationen gefunden. Ehemalige Studenten der CEU fänden sich auch in den Führungsrängen der Orbán-Partei Fidesz, sagt sie. Fidesz gründete sich 1988 als Protestorganisation liberaler und westlich orientierter Intellektueller gegen die Diktatur der Kommunisten. Orbán ist 1989 mit einem von Soros finanzierten Stipendium nach Oxford gegangen. «Jetzt wollen sie ihre Verbindungen mit Soros auslöschen. Es ist eine Hexenjagd», sagt Szedalecsek.

Rácz will sich Ende Jahr für ein Studium an der amerikanischen Eliteuniversität Stanford bewerben. Ob er nach Ungarn zurückkehrt, lässt er offen. Szedlacsek bricht Ende des Jahres nach Grossbritannien auf und plant einen Abschied für immer. Die Studentin ist überzeugt, dass ihr einst angesehener CEU-Abschluss in Ungarn wertlos ist. «Ich weiss nicht, ob bei der Stimmung im Land überhaupt jemand es wagen würde, mich zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.» Das Stigma, an der «verräterischen Universität» studiert zu haben, lässt sich nicht mit einem Mausklick löschen wie eine Beleidigung auf Facebook.

Die Umzugskartons stehen schon in Professor Zoltan Miklosis Büro. Der 42-jährige Wissenschafter rechnet zwar damit, dass er seine Frau und seine Kinder schon bald nur noch an Wochenenden in Budapest sehen wird. Aber ausgerechnet der bayerische Ministerpräsident Markus Söder zauberte vor einigen Wochen ein weisses Kaninchen aus dem Zylinder. Die bayerische Landesregierung brachte eine Kooperation der Technischen Universität München (TUM) und der CEU ins Spiel. Manfred Weber, Spitzenkandidat der europäischen Konservativen und CSU-Politiker, machte eine einvernehmliche Lösung im Streit um die CEU sogar zur Bedingung für die Rückkehr von Fidesz an den Tisch der Europäischen Volkspartei (EVP.) Sie hatte die Mitgliedschaft der Orbán-Partei erst im März wegen den Schmähplakaten gegen Jean-Claude Juncker auf Eis gelegt. Der bayerische Autohersteller BMW brachte sich als Sponsor für die Ehe der beiden Universitäten ins Gespräch. Orbán zeigte sich plötzlich gesprächsbereit.

Professor Miklosi erstaunt das nicht. «Er hat selbst einmal gesagt, dass er einen Pfauentanz aufführt, wenn er mit den Europäern verhandelt.» Der ungarische Pfau plustert sich auf und beobachtet wie Brüssel auf seine Provokationen reagiert. Bekommt er Gegenwind, gibt er ein Stück nach. Bis die Gegenseite etwas anderes zu tun hat. Wenn niemand mehr hinschaue, setze Orbán dann mit einiger Kosmetik vielleicht um, was er ursprünglich wollte. «Der Schlüssel zur Zukunft der CEU liegt jetzt in den Händen von Markus Söder, weil die Beziehung zu Bayern und die Geschäfte mit BMW und anderen deutschen Unternehmen wichtig für Orbán sind», erklärt Miklosi. Seine Wirtschaftspolitik habe ausser den deutschen Investitionen wenig vorzuweisen. Und die bisherige Unterstützung der CSU für den Verbleib von Fidesz in der EVP nutze Orbán als Beleg für seine demokratische Unbedenklichkeit. Deutschland könnte dieser Strategie nun Grenzen aufzeigen, indem es den Erhalt der CEU in Budapest zur roten Linie erklärt. Das wäre im deutschen Interesse, ist Miklosi überzeugt. «Sonst macht Ungarn überall in Europa Schule», sagt Miklosi.

Kulturzentrum wird in den Medien als Drogenzentrum bezeichnet

Die «Soros-Verschwörung» hat regierungsnahen Medien zufolge einen zweiten Stützpunkt in Budapest. Ein in die Jahre gekommenes Gebäude beherbergt an der Auróra-Strasse im achten Bezirk ein alternatives Kulturzentrum. Die jüdische Jugendorganisation Marom betreibt den Treffpunkt. Sie teilt sich 600 Quadratmeter mit Roma-Rechtlern oder den Organisatoren der Budapester Pride. Ein paar alte Sofas, Klappstühle und Tische belegen den Innenhof des «Auróra». Das Publikum trägt bunte Schals, dreht sich Zigaretten selbst und trinkt «Club Mate». Es scheint, als hätte ein schwarzes Loch eine übliche Kreuzberger Kneipe verschluckt und in Budapest ausgespuckt. Die Budapester Fidesz-Verwaltung hatte noch nie etwas übrig für Subkultur. Sie warf den Vorgänger des Auróra, das SRLY an der Király-Strasse, 2012 aus einem städtischen Gebäude. Marom mietete sich für ihr neues Projekt bei einem privaten Eigentümer ein, um nicht mehr von der Stadtverwaltung abhängig zu sein. Jetzt scheint dem Auróra zum Verhängnis zu werden, dass das Kulturzentrum für seinen Neuanfang auch Geld der Soros-Stiftung «Open Society Foundation» in Anspruch nahm.

Adam Schonberger fühlt sich, als sei er in einer Zeitschleife gefangen. Als er noch das SRLY leitete, erlebte der 39-Jährige Polizeirazzien, Besuche der Drogenfahndung oder Kontrollen durch die Hygieneabteilung des Gesundheitsamts. Sieben Jahre später gibt es statt des SRLY das Auróra, aber sonst scheint sich nichts geändert zu haben. Zeitgleich mit den ersten Plakaten, die den EU-Kommissionspräsidenten Juncker neben George Soros zeigten, nahmen die regierungsfreundlichen Medien das Auróra als angeblichen zweiten Soros-Stützpunkt in Ungarn ins Visier und machte es zum Hassobjekt für rechte Trolle. «Sie nennen uns das Drogenzentrum von George Soros», sagt Schonberger. Und in jedem Bericht werde erwähnt, dass das Auróra von Juden betrieben wird.

Schonberger hält Viktor Orbán nicht für einen Antisemiten. Er sieht in ihm einen Politiker, der keine Skrupel habe, die rund 90000 Juden in Ungarn zu instrumentalisieren. Orbán betont seine guten Beziehungen zu einer kleinen orthodoxen Gemeinde in Budapest. «Dabei sind die meisten Juden in Ungarn liberal und gegen Orbán», sagt Schonberger. Er glaubt, dass Orbán die ungarischen Juden vor die Wahl stelle, sich in sein System einzuordnen oder zu spüren, wie er die Hunde von der Kette lässt.