Krieg gegen IS
«Der Irak muss in drei Staaten geteilt werden»

Peschmerga-Kommandant Sirwan Barzani über den Verlauf der Mossul-Offensive und die Zukunft des Landes.

Michael Wrase, Makmour (Nord-Irak)
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Der IS baut in den von ihm eroberten Ortschaften Tunnelanlagen. In dem Labyrinth in der Ortschaft Baschika lebten bis zu 200 Terroristen,
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Geräte und Wasserflaschen liessen die Terroristen zurück.
Vorratskammer im Tunnel.
Irak IS Islamischer Staat Krieg

Der IS baut in den von ihm eroberten Ortschaften Tunnelanlagen. In dem Labyrinth in der Ortschaft Baschika lebten bis zu 200 Terroristen,

Azad Lashkari/Reuters

Gut ein Monat ist nach dem Beginn der Mossul-Offensive vergangen. Wie bewerten Sie die bisherigen Erfolge der Koalition und die Ihrer eigenen Peschmerga-Truppen?

Sirwan Barzani: Es waren unsere Peschmerga-Truppen, die in den letzten Jahren Frontpositionen auf einer Länge von über 100 Kilometern gehalten haben. Sie waren es auch, die die ersten Verteidigungslinien des IS in Norden und Osten von Mossul durchbrochen haben. Wir haben der irakischen Armee den Weg nach Mossul geebnet. In die Stadt selbst werden wir nicht eindringen.

Die irakische Armee hat fünf Bezirke im Osten von Mossul schon erobert. Wann rechnen Sie mit der vollständigen Befreiung?

Wenn von Osten, Süden und Norden angegriffen wird, dann könnte die Stadt in zwei Monaten fallen.

Die irakische Armee, Ihre Peschmerga sowie schiitische, sunnitische und auch christliche Milizen führen alle ihre eigenen Offensiven durch. Wie verläuft die Koordination?

Es ist das erste Mal in der Geschichte des Irak, dass eine solche Offensive durchgeführt wird. Wir dachten, es wird schwierig. Aber bislang gibt es bei der Abstimmung unter den Irakern sowie mit der internationalen Koalition keine Schwierigkeiten.

Sie sind zufrieden mit dem Verlauf?

Alles verläuft reibungslos. Vor allem die Elitetruppen der irakischen Armee und ihre sogenannte goldene Division machen gute Fortschritte. Das sind ausgezeichnete Soldaten.

Sirwan Barzani Sirwan Barzani, 45, ist der ranghöchste Peschmerga-General. Seine Truppen garantieren den Schutz der Kurdenhauptstadt Arbil. Auch als Geschäftsmann ist der Neffe von Kurdenführer Massud Barzani erfolgreich. Der Wert seiner Telefongesellschaft Korek wird mit zwei Milliarden Dollar angegeben.

Sirwan Barzani Sirwan Barzani, 45, ist der ranghöchste Peschmerga-General. Seine Truppen garantieren den Schutz der Kurdenhauptstadt Arbil. Auch als Geschäftsmann ist der Neffe von Kurdenführer Massud Barzani erfolgreich. Der Wert seiner Telefongesellschaft Korek wird mit zwei Milliarden Dollar angegeben.

Die Peschmerga haben mit der Eroberung von Bashika in der zweiten Novemberwoche ihren Teil der Mossul-Offensive offenbar bereits abgeschlossen. Ist das richtig?

Das stimmt. Wir stehen aber für weitere Aufgaben bereit, sollte uns die irakische Armee rufen.

Die meisten Nahostexperten erwarten, dass die wirkliche Schlacht um Mossul erst nach der Befreiung beginnen wird. Besteht eigentlich schon eine politische Einigung darüber, wer die Millionenstadt nach der Befreiung regieren soll?

Nein. Wir Kurden haben auf eine Einigung vor Beginn der Offensive gedrängt. Aber die Regierung in Bagdad sagte uns, dass für eine Einigung auch nach der Befreiung noch Zeit sei. Aus unserer Sicht ist dies ein Fehler. Denn ohne Einigung ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein neuer sogenannter «Islamischer Staat» entsteht.

Was sollte getan werden?

Um dauerhafte Stabilität im Irak zu erreichen, müssen wir den Irak aufteilen. In mindestens drei Staaten. Weit über eine Million Menschen sind seit der Grenzziehung durch die Franzosen und Briten ums Leben gekommen. Über 200 000 davon waren Kurden. Diese alte Heirat funktioniert nicht mehr. Wir müssen die Realitäten sehen. In einem vereinten Irak, den die Regierung in Bagdad noch immer anstrebt, wird es niemals Frieden geben.

Verstehe ich Sie richtig: Anstelle des einen Irak plädieren Sie für mindestens drei unabhängige irakische Staaten?

Ganz genau. Neben dem schiitischen und kurdischen irakischen Staat, die de facto ja schon bestehen, brauchen wir auch einen sunnitischen Staat Irak. Nur dann werden die Menschen dauerhaft in Frieden leben können.

Wie soll das mit der Grenzziehung der neuen Staaten funktionieren. Neue Konflikte sind ja praktisch schon programmiert?

In unserem irakischen Kurdistan werden die Rechte der Minderheiten akzeptiert. Wir haben 1,5 Millionen arabische Flüchtlinge, sunnitische Araber, aufgenommen. Probleme mit ihnen gibt es nicht. Sie sollen später selbst entscheiden, wo sie leben möchten. Sie können auch bleiben.

Die Grenzziehung des sunnitischen Irak erscheint mir ganz besonders schwierig. Wer sollte diesen von Clans und Stämmen geprägten sunnitischen Rumpfstaat regieren?

Das politische Oberhaupt wäre der jordanische König Abdullah.

Und das würden die sunnitischen Iraker akzeptieren?

Warum nicht? Amman ist schon seit Jahren die heimliche Hauptstadt der sunnitischen Iraker. Hunderttausende leben in der jordanischen Hauptstadt. Alle Clan- und Stammesführer haben dort grosse Villen, fühlen sich dort wohl. Alle wichtigen Entscheidungen der irakischen Sunniten werden in Jordanien getroffen.

Wann ist mit dem von Präsident Massud Barzani angekündigten Unabhängigkeits-Referendum zu rechnen?

Sobald Mossul befreit worden ist, müssen wir unsere Unabhängigkeit proklamieren.

Kämpfe um Mossul:

Verkündet den Sturm auf Mossul am Montag, 18. Oktober 2016: Iraks Premierminister Haider al-Abadi, umgeben von hochrangigen Offizieren.
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Im Morgengrauen zogen die Streitkräfte Richtung Mossul.
Im Morgengrauen ziehen die Streitkräfte Richtung Mossul.
Mossul Grossoffensive Irak IS
Mitglieder der irakischen Sondereinsatzkräfte gehen in Stellung.
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Rauch steigt auf, während Menschen von ihren Häusern fliehen.
Kämpfer der IS. Bild von 23. Juni 2015
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Verkündet den Sturm auf Mossul am Montag, 18. Oktober 2016: Iraks Premierminister Haider al-Abadi, umgeben von hochrangigen Offizieren.

KEYSTONE/AP Iraq Prime Minister's Office

Erwarten Sie, dass die internationale Staatengemeinschaft einen unabhängigen Kurdenstaat anerkennen wird?

Wir wissen, dass es da unterschiedliche Meinungen gibt, ein klares öffentliches westliches Bekenntnis zu einem unabhängigen Kurdenstaat fehlt bislang. Aber wir haben zahlreiche informelle Zusicherungen erhalten. Auch der neue US-Präsident Donald Trump hat sich positiv hinsichtlich unserer Unabhängigkeit geäussert.

Menschenrechtsorganisationen haben den Peschmerga vorgeworfen, arabische Dörfer zu zerstören, ethnische Säuberungen durchzuführen?

Natürlich werden in jedem Krieg Fehler gemacht. Auch von uns. Ethnische Säuberungen führen wir Kurden aber nicht durch. Es stimmt aber, dass wir sunnitischen Arabern aus Sicherheitsgründen nicht gestattet haben, in ihre bereits befreiten Dörfer zurückzukehren. Auch Kurden und Christen müssen noch warten. Viele Regionen sind noch vermint. Überall, das haben Sie bei Ihrem Frontbesuch selbst gesehen, gibt es noch Sprengfallen. Der Krieg, das dürfen Sie nicht vergessen, ist noch längst nicht zu Ende.