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Das Bundesverfassungsgericht streicht das seit 2015 geltende Sterbehilfe-Verbot. Das neue Gesetz ist liberaler als jenes der Schweiz.
«Das Urteil ist nicht zu übertreffen. Es ist ganz hervorragend», sagte der Gründer der Schweizer Sterbehilfe-Organisation Dignitas, Ludwig A. Minelli. Der 87-jährige Zürcher weilte gestern Vormittag in Karlsruhe, wo das deutsche Bundesverfassungsgericht ein Urteil zu Sterbehilfe gesprochen hat.
Die obersten Richter Deutschlands hoben ein seit 2015 geltendes Verbot für geschäftsmässige (sprich: mehrmalige) Sterbehilfe auf. Der Grund: Das Verbot habe gegen das Grundgesetz verstossen. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schliesse «die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen», sagte der Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Andreas Vosskuhle.
Ärzte, Patienten und auch Sterbehilfe-Organisationen wie die Schweizer Dignitas hatten mehrfach gegen den entsprechenden Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch geklagt.
Das Urteil erlaubt für Deutschland gar eine liberalere Regelung, als sie die Schweiz kennt. Denn das «Recht auf selbstbestimmtes Sterben», wie Gerichtspräsident Vosskuhle ausführte, schliesst das Recht mit ein, «sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen» – und zwar unabhängig vom Alter, vom Gesundheitszustand, den Motiven oder moralischen Erwägungen.
«In der Schweiz herrscht gelegentlich noch die irrige Auffassung, dass man nur schwer- oder todkranke Menschen in den Tod begleiten darf», beklagt Dignitas-Gründer Ludwig A. Minelli. Dabei hätten – wie das deutsche Urteil klarmache – auch körperlich gesunde Menschen Anspruch auf Sterbehilfe.
Minelli ist überzeugt, dass das Urteil aus Karlsruhe auch die Schweizer Rechtssprechung beeinflussen wird. In der Schweiz erhält ein Patient nur dann eine tödliche Dosis des Medikaments Natrium-Pentobarbital, wenn das Lebensende eines Patienten naht. So bleibt die Sterbehilfe etwa psychisch Erkrankten verwehrt.
Auch der Anwalt von Dignitas, Johannes Rauwald, lobte das Urteil: «Es war in dieser Klarheit von uns nicht erwartet worden. Die Entscheidung für Sterbehilfe, egal aus welchen Motiven, ist von den staatlichen Stellen anzuerkennen.»
Mit dem Urteil wird Dignitas seine Tätigkeit in Deutschland wieder aufnehmen. Die Ära, als Sterbewillige aus Deutschland in der Schweiz die Hilfe von Dignitas in Anspruch nehmen mussten, ist laut Minelli «im Prinzip vorbei».
Ein Hindernis für die Arbeit von Dignitas gibt es in Deutschland allerdings nach wie vor: Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) blockiert die Herausgabe des Medikaments Natrium-Pentobarbital, das sterbewillige Person einnehmen müssen. Minelli ist aber zuversichtlich, dass das Präparat künftig auch in Deutschland erhältlich sein wird.
Die Schweiz hat den Ruf, europaweit eine der liberalsten Gesetzgebungen in Bezug auf die Sterbehilfe zu haben. Während Jahren hat sich das Land zu einer Destination für Sterbewillige aus dem Ausland entwickelt. 2017 nahmen in der Schweiz mehr als 1000 Personen Sterbehilfe in Anspruch, etwa 200 sollen aus dem Ausland stammen, ein Grossteil davon aus Deutschland. Dignitas ermöglicht – anders als etwa die Sterbehilfeorganisation Exit – auch Ausländern die Freitod-Begleitung in der Schweiz.
Nun liegt der Ball beim deutschen Parlament, das die Sterbehilfe in Deutschland regulieren muss. Am Grundsatz, dass Freitodbegleitung in Deutschland für jeden Sterbewilligen erlaubt werden muss, darf die Politik indes nicht rütteln, trotz der Kritik, die das Urteil hervorgerufen hat. «Jetzt wird die Erleichterung der Selbsttötung für Kranke und Lebensmüde zur normalen Dienstleistung», sagte Thomas Sitte von der Deutschen Palliativ-Stiftung und verwies indirekt auf die Schweiz: «Angebot», sagte er, «schafft Nachfrage.»