Die neu im Bundestag sitzende AfD will eine parteinahe Stiftung nach dem einstigen Reichskanzler und -aussenminister Gustav Stresemann benennen. Die Erben sind empört – die Absichten der AfD stünden in krassem Gegensatz zu Stresemanns Politik.
Jede im Bundestag vertretene Partei hat eine ihren Grundsätzen nahestehende Stiftung. Die bekannteste ist die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung. Die als Verein geführten Stiftungen vergeben etwa Stipendien oder engagieren sich in der Demokratieförderung. Die Einrichtung einer solchen Stiftung ist für die Parteien nicht zuletzt auch finanziell lukrativ. Gönner können Stiftungen fördern, ohne als Parteispender aufzutauchen. Zudem werden parteinahe Stiftungen jährlich mit hohen Millionenbeträgen aus Steuergeldern gefördert.
Neu im Bundestag ist seit diesem Herbst auch die Alternative für Deutschland (AfD) vertreten. Nun möchte die rechtskonservative Kraft ebenfalls eine eigene Stiftung gründen. Dies, obwohl die AfD in der Vergangenheit die Parteienfinanzierung über Stiftungen als «Misswuchs der bundesrepublikanischen Demokratie» kritisiert hatte. Für Aufregung sorgte die Idee des Parteivorsitzenden Alexander Gauland, die AfD-nahe Stiftung nach dem früheren Reichskanzler und -aussenminister sowie dem ersten deutschen Friedensnobelpreisträger – Gustav Stresemann (1878 bis 1929) – zu benennen. Die AfD sehe sich dem Erbe Stresemanns verpflichtet, sagte Gauland in einem Interview.
Stresemann war vor allem in seiner Rolle als Aussenminister eine der prägendsten Figuren der Weimarer Republik. Der nationalliberale Politiker arbeitete nach dem Ersten Weltkrieg an der Aussöhnung Deutschlands mit dem Westen. Als sein grösster Erfolg gelten die Verträge von Locarno 1925. Durch diese gelang Deutschland die Rückkehr in den internationalen Völkerbund. Für diese Versöhnungspolitik erhielt Stresemann 1926 den Friedensnobelpreis.
Allerdings legte der heute als Demokrat und Gegner der Nationalsozialisten gelobte Stresemann einen politischen Wandel hin. Während des Ersten Weltkrieges gehörte Stresemann zu den Annexionisten, welche durch Gebietserweiterungen Deutschlands Macht ausbauen wollten.
Wie dem auch sei: Die Nachfahren des früheren Reichskanzlers sind überzeugt, dass die Politik Stresemanns in krassem Gegensatz zu den Absichten der AfD steht, gerade im Bereich der Aussenpolitik. Während die AfD einen EU-kritischen Kurs fahre und die Rückbesinnung auf nationale Stärken forciere, habe Stresemann versucht, die deutschen Interessen mit denen von Europa in Einklang zu bringen. Zudem haben die Nachkommen die Befürchtung, dass die AfD im Namen Stresemanns auf eine angeblich verfehlte Flüchtlingspolitik Europas verweise oder antimuslimische Politik propagiere.
Nun wollen die Nachkommen mit juristischen Mitteln verhindern, dass die Rechtspartei ihre parteinahe Stiftung nach Stresemann benennen darf. Die Nutzung des Namens bedeute eine postmortale Persönlichkeitsverletzung, sagt der Anwalt von Stresemanns Nachkommen.
Der Enkel Gustav Stresemanns betont, seine Familie sei von der Partei nie angefragt worden. Was sein Grossvater aus Überzeugung vertreten habe, «steht ja fundamental gegen das, was die AfD verkörpert».
AfD-Chef Gauland entgegnet: «Die Politik Gustav Stresemanns im Rahmen seiner Zeit passt ideologisch am besten zu uns. Dessen Erbe ist bei der AfD sehr gut aufgehoben. Wir sind die perfekte und moderne Kombination aus Patriotismus und Liberalismus.» Die AfD will sich demnächst auf einen Namen festlegen. Entscheidet sie sich für Gustav Stresemann, ist ein medienwirksamer Streit mit den Nachkommen programmiert. Das dürfte ganz nach dem Gusto der um Aufmerksamkeit buhlenden Populisten sein.
Christoph Reichmuth, Berlin