Heute vor 25 Jahren wurde der 2+4-Vertrag unterzeichnet. Er ebnete den Weg zur deutschen Einheit und gilt bis heute als diplomatisches Meisterstück.
Nach der Unterzeichnung im schmucklosen Saal des Moskauer Hotels Oktjabarskaja gab es an diesem 12. September 1990 ein Glas halbtrockenen Krimsekt. Angestossen haben der damalige Sowjetpräsident Michail Gorbatschow sowie die Aussenminister der sechs beteiligten Staaten. Darunter der deutsche Aussenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) und sein ostdeutscher Amtskollege Markus Meckel. Der Sekt, so heisst es in Überlieferungen, soll nicht sonderlich gut geschmeckt haben, die meisten der Anwesenden sollen sich mit einem Anstandsschluck begnügt haben.
Dass der Sekt den Geschmack von Hans-Dietrich Genscher nicht getroffen hat, dürfte dem FDP-Urgestein ziemlich egal gewesen sein. Am 12. September 1990 wurde in Moskau mit der Unterzeichnung des sogenannten 2+4-Vertrages (offiziell «Vertrag über die abschliessende Regelung in Bezug auf Deutschland») zwischen den damals noch beiden deutschen Staaten BRD und DDR sowie den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges – Grossbritannien, die USA, Frankreich und die Sowjetunion – Historisches vollbracht. Innerhalb von nur wenigen Monaten wurden per Vertrag weltpolitische Probleme aus dem Weg geräumt, die eine ganze Epoche geprägt hatten.
Der Vertrag ebnete der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 den Weg. Der Vertrag ist gewissermassen das aussenpolitische Grundgesetz des heutigen Deutschland. Deutschland verpflichtet sich darin, keine Gebietsansprüche mehr zu stellen, auf den Besitz von atomaren, biologischen und chemischen Waffen zu verzichten und die Bundeswehr auf höchstens 370 000 Soldaten zu reduzieren. Im Gegensatz wurde dem wiedervereinigten Staat die volle Souveränität zugesichert, die Sowjetunion verpflichtete sich zudem, ihre Westtruppen bis 1994 aus Deutschland abzuziehen. Hans-Dietrich Genscher legte damals grossen Wert darauf, dass der Vertrag 2+4 und nicht etwa 4+2 genannt wird. «Ich hielt das für wichtig. Damit nicht bei irgendeiner der vier Mächte die Vorstellung entstehen konnte, dass sich zwei Verhandlungstische gegenüberstehen, von denen der eine 10 Zentimeter niedriger ist als der andere», erinnert sich Genscher heute.
So rasch sich die Siegermächte mit den beiden deutschen Staaten auf den Vertrag auch einigten – die Formel 2+4 wurde erst im Februar 1990 aus der Taufe gehoben, nach lediglich vier weiteren Treffen in Bonn, Ostberlin, Paris und schliesslich Moskau war der Vertrag unterzeichnet –, so sehr heute noch von einem «Meisterwerk der Diplomatie» gesprochen wird, ohne Komplikationen wurde der Vertrag damals nicht auf den Weg gebracht. Zuerst war es der damalige sowjetische Aussenminister Eduard Schewardnadse, der kategorisch «Njet» zu einer Nato-Mitgliedschaft des wiedervereinten Deutschland sagte. Die Nato-Mitgliedschaft wurde quasi zur Gretchenfrage.
Zudem unternahm die britische Regierung unter Margaret Thatcher mehrere Versuche, die Wiedervereinigung wenigstens zu verzögern, indem sie Grossbritannien vertraglich zusichern lassen wollte, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR auch nach der Einheit militärische Manöver abhalten zu dürfen. Der Vertrag drohte mehrmals zu scheitern. Doch letztlich wurde die Vereinbarung von allen beteiligten Staaten ratifiziert, am 15. März 1991 trat der Vertrag in Kraft. «Dieser Vertrag», erinnert sich der letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, «war die Voraussetzung für die Einigung Europas. Dass sich die osteuropäischen Staaten Europa angliedern konnten – dem stand ja immer die deutsche Teilung entgegen. Wir haben damals das Tor zu einem vereinigten Europa aufgestossen.»
Mit der Unterzeichnung des 2+4-Vertrages war auch ein umfassender Friedensvertrag, wie ihn Hans-Dietrich Genscher und der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl stets verhindern wollten, aus dem Weg geräumt. Bei einem solchen Vertrag hätte sich Deutschland mit all jenen zirka 40 Staaten einigen müssen, mit denen sich Nazi-Deutschland zum Zeitpunkt der Kapitulation 1945 im Krieg befand. «Wahrscheinlich würden wir heute noch am Verhandlungstisch sitzen und beraten», äusserte sich Genscher später dazu.
Christoph Reichmuth, Berlin