Die Kanzlerkandidatin der Ökopartei muss fast täglich einen neuen Fehler eingestehen. Kann sie überhaupt noch gewinnen?
«Das war’s», lautet der Titel einer «Spiegel»-Kolumne über die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Das war’s – mit der Kanzlerkandidatur. So lautet die These der Autorin. Und völlig abwegig ist sie nicht. Denn die 40-jährige Politikerin Baerbock hat in den letzten Wochen einen Fehler nach dem anderen aneinandergereiht. Sie hat ihren Lebenslauf aufgehübscht und beispielsweise Mitgliedschaften in Vereinen angegeben, obwohl sie dort bloss spendet. Dass sie ihr Studium der politischen Wissenschaften zudem bloss mit dem Vordiplom abschloss, hat sie bis vor kurzem verheimlicht.
Baerbock sät mit dem frisierten Lebenslauf ohne Not Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit. Die geschönten Passagen im Curriculum Vitae passten die Grünen unter Anwendung der Salamitaktik an – fast täglich musste ein weiterer Punkt korrigiert werden, nachdem Zeitungen immer neue Ungereimtheiten aufgedeckt hatten. Dass Baerbock kürzlich Nebeneinkünfte in Höhe von mehr als 20000 Euro an die Bundestagsverwaltung nachmelden musste, wirft auch kein allzu gutes Bild auf die Kanzlerin in spe, die gerade in diesem Punkt für volle Transparenz wirbt. Sie habe sich über das Missgeschick «tierisch» geärgert, sagte sie danach.
Ihr Ärger ist nachvollziehbar. Die Fehler sind peinlich, wenn auch nicht viel mehr als Lappalien, wäre sie eine einfache Abgeordnete. Doch die 40-Jährige Potsdamerin greift nach dem einflussreichsten Posten in Deutschland, vielleicht dem mächtigsten Amt in Europa. Da sollte das höchste Gut, das es zu verteidigen gibt, gut gehütet werden: die eigene Glaubwürdigkeit.
An diesem Wochenende streiten die Grünen beim digitalen Parteitag über ihr Wahlprogramm. Im Vorfeld gab’s über 3000 Änderungsvorschläge. Die «Fundis» planen den Aufstand. Ihnen geht der pragmatische Kurs der Parteiführung zu wenig weit. Sie wollen einen radikaleren Klimakurs. Ein Wohlfühl-Parteitag wird das also ohnehin nicht für Baerbock.
Dazu kommen die nicht gerade erheiternden jüngsten Umfrageergebnisse. Die Grünen fallen in der Gunst der Wähler. Nur noch 28 Prozent wollen Annalena Baerbock als Kanzlerin, im Mai sah das ganz anders aus. Inzwischen ist Baerbock hinter die Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) zurückgefallen.
Beliebter als Baerbock ist auch der grüne Co-Chef Robert Habeck. Der hat seiner Kollegin den Vortritt für die Kanzlerkandidatur gelassen, obwohl er selbst gerne angetreten wäre. Nach den Fauxpas von Co-Chefin Baerbock werden sich auch einige Grüne beim virtuellen Parteitag fragen, ob Baerbock nach ihrem Fehlstart nicht besser den Weg für eine Rochade freimachen und dem 51-jährigen Habeck den Vortritt lassen sollte.
So weit wird es kaum kommen. Umfragen sind volatil, Baerbock kann wieder Boden gutmachen. Doch die Chancen, dass Annalena Baerbock Geschichte schreibt und erste grüne Kanzlerin Deutschlands wird, sind in den letzten Wochen deutlich gesunken.