Nach dem Rücktritt von Renzi muss Staatspräsident Mattarella eine Übergangsregierung bilden.
In der bittersten Stunde seiner politischen Karriere hat Matteo Renzi den Humor nicht verloren. «Ich wollte einige bequeme Politiker-Sessel abschaffen – jetzt hat es meinen eigenen erwischt», erklärte der italienische Noch-Ministerpräsident, als er am Sonntag nach Mitternacht vor die Medien trat, um nach seiner schweren Niederlage beim Verfassungsreferendum seinen Rücktritt anzukündigen. Renzi hätte auch sagen können: Jetzt ist der einstige Verschrotter selbst verschrottet worden. Aber das wäre wohl zu viel der Selbstironie gewesen.
Gestern Abend hat der demissionierende Premier eine letzte Regierungssitzung einberufen, um sich bei seinen Ministerinnen und Ministern für den «Teamgeist» während der letzten 1000 Tage zu bedanken. Bei der Sitzung bekräftigte Renzi, dass sein Rücktritt «unwiderruflich» sei; laut italienischen Medienberichten schloss er aber nicht aus, die Amtsgeschäfte noch bis zur Verabschiedung des Staatshaushalts spätestens am Freitag weiterzuführen. Danach erklomm Renzi, wie es das barocke Ritual bei italienischen Regierungskrisen vorsieht, den Quirinalshügel, um Staatspräsident Sergio Mattarella in seinem prächtigen Amtssitz über den Dächern der Römer Altstadt sein Rücktrittsschreiben zu übergeben.
In den nächsten Tagen ist es der Staatspräsident aus Palermo, der in Rom die Karten gibt. Mattarellas Ziel ist es, Italien so schnell wie möglich eine handlungsfähige Regierung zu geben, die nach dem Rücktritt Renzis zumindest die dringlichsten Amtsgeschäfte weiterführt. Die wichtigste und zugleich kniffligste Aufgabe der Übergangsregierung wird die Erarbeitung eines neuen Wahlgesetzes sein, das auch Regeln für die Wahl des Senats enthält, der nach dem Nein zur Verfassungsreform nun ja in seiner bisherigen Form weiterexistiert.
Zwar haben Vertreter von Beppe Grillos Protestbewegung und der fremdenfeindlichen Lega Nord gestern sofortige Neuwahlen gefordert, aber die Ausarbeitung eines neuen Wahlgesetzes erfordert erfahrungsgemäss seine Zeit. Neuwahlen könnten nach verbreiteter Auffassung frühestens im Frühling 2017 stattfinden, vielleicht auch erst im Herbst. Es ist aber auch möglich, dass Mattarella auf eine Regierung hinarbeitet, welche die laufende Legislatur zu Ende führen wird – zumal diese ohnehin nur noch bis Anfang 2018 dauert.
Derzeit werden in Rom vor allem zwei Favoriten für das Amt des Übergangspremiers genannt: der parteilose bisherige Finanzminister Pier Carlo Padoan und Senatspräsident Pietro Grasso aus dem PD. Für den Ökonomen Padoan sprächen sein Expertenwissen sowie seine Vertrautheit mit den Staatsfinanzen und dem Dossier der kriselnden Banken; Pietro Grassos Vorteil wiederum liegen in seinem hohen Ansehen als ehemaliger Anti-Mafia-Staatsanwalt und in den guten Beziehungen des Senatspräsidenten zur Opposition. Eine Wahl Grassos wäre nicht frei von Ironie: Eigentlich hätte er durch die Verfassungsreform «abgeschafft» werden sollen – stattdessen übernimmt er von dem, der ihn abschaffen wollte, die Regierungsgeschäfte.
Die Weichen für die politische Zukunft Italiens werden jedoch nicht mit der Kür des Übergangspremiers gestellt, sondern mit dem neu zu formulierenden Wahlgesetz. Das von der Regierung Renzi durchgeboxte «Italicum», das nur für die Abgeordnetenkammer gilt und nun revidiert werden muss, sah eine hohe Mehrheitsprämie vor, die der stärksten Partei automatisch 55 Prozent der Parlamentssitze garantiert hätte. Mit diesem System wäre es gut möglich, dass Grillos Protestbewegung bei den nächsten Wahlen die absolute Mehrheit der Parlamentssitze errungen hätte, auch wenn sie im ersten Wahlgang vielleicht nur auf 25 bis 30 Prozent der Stimmen gekommen wäre.
Man kann nun eine hohe Wette darauf abschliessen, dass das «Italicum» dahingehend abgeändert wird, dass dies nicht mehr möglich ist. Die entsprechenden Vorschläge liegen bereits auf dem Tisch: Statt an die bestplatzierte Partei soll die Mehrheitsprämie an die bestplatzierte Koalition gehen. Und da sich Grillo aus Prinzip nicht mit einer «Systempartei» ins Lotterbett legen wird, wäre allein mit dieser kleinen, aber feinen Änderung einigermassen sichergestellt, dass es in Rom niemals zu einer 5-Sterne-Regierung kommen wird. Vielleicht war das ja mit ein Grund, warum die von etlichen Untergangspropheten vorausgesagte Panik an den Börsen gestern ausgeblieben ist.