Der Migrationshistoriker Gianni D’Amato zur Frage, was dazu führt, dass sich breite Bevölkerungsschichten für Flüchtlinge einsetzen.
Gianni D’Amato: Historisch einmalig ist nur, was die Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland betrifft. Nicht aber, was die Solidarität angeht. Ich erinnere zum Beispiel an die Kundgebungen gegen rechts Anfang der 1990er-Jahre, als es
in Ostdeutschland zu Anschlägen auf Asylheime kam.
In der Schweiz gab es zum Beispiel eine offenherzige Welle der Solidarität gegenüber den Ungarn. Nach 1956 wurden hierzulande 13 000 ungarische Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen. Oder im Prager Frühling, als die Tschechen und Slowaken kamen. Später galt die Sympathie auch den Tibetern oder den Boatpeople aus Vietnam und Kambodscha.
Etwas, was die Menschen bewegt und eint. 1956 und 1968 war das vor allem die Identifikation mit den Opfern des Kommunismus. Bei den Boatpeople waren es der schier endlose Krieg in Vietnam und die Bilder der Flucht auf Booten. Sie erzeugten Mitleid.
Die Tibeter waren Menschen aus den Bergen wie wir. Die Schweiz zeigt sich gerne solidarisch mit Berglern.
Ja, in Deutschland haben wir nun auch eine solche Sympathiebewegung. Wir haben es mit couragierten Bürgern zu tun, welche die Sympathie für die Flüchtlinge eint.
Nicht nur. Die Sympathiewelle in Deutschland erfasst breite Bevölkerungsschichten. Diese Empathie mit den Flüchtlingen liegt in der Mitte der Gesellschaft, was man bei den rechtsextremen Angreifern nicht sagen kann. Denn es geht um Menschen, die in brennenden Unterkünften ums Leben kommen könnten. Das goutiert die Mitte der Gesellschaft nicht.
Dieser Moment wird kommen. Doch die Politik hat ja bereits gehandelt. Die deutsche Regierung hat Massnamen zur Unterbringung und Finanzierung ergriffen.
Nein, die Regierung Merkel hat ja auch so erkannt, dass sie handeln muss. Die Sympathiebewegung hat der Bundeskanzlerin viel mehr den Rücken gestärkt und den Gegnern einer grosszügigen Aufnahme von Flüchtlingen enge Grenzen gesetzt.
Das wird sich zeigen. Die Syrer und auch Iraker haben nun einen Bonus bei den Deutschen. Ob sie ihn behalten können wird sich erweisen, wenn es darum geht, ob sie sich in Deutschland integrieren.
Das hat viel mit den Bildern zu tun, die wir tagtäglich zu sehen bekommen. Denken Sie an die IS-Schlächter in Syrien und im Irak. Oder an die Fassbomben, die Assad noch immer auch gegen die eigene Bevölkerung einsetzt. Bei den Eritreern hingegen fehlen solche Schilderungen, anhand derer man nachvollziehen könnte, was in Eritrea genau geschieht. Was heisst lebenslanges Militär? Sind die Flüchtlinge nur Drückeberger, die sich vor dem Armeedienst scheuen? Aus dem abgeriegelten Land fehlen Bilder, die bei uns Emotionen und Sympathie wecken.