Bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich kämpft eine Spezialeinheit gegen Cyberattacken namentlich aus Russland. Der Krieg in der Ukraine macht ihr Vorgehen nur noch akuter.
Man stelle sich vor: Wenige Tage vor der Präsidialwahl geht das Gerücht um, Macron sei homosexuell, Liebhaber eines Pariser TV-Intendanten. Zwei Tage vor dem Urnengang – genau dann, wenn die Mediendebatte offiziell endet – werden dazu 20'000 Mails aus Macrons Umfeld geleakt.
Eine unschöne Vorstellung. Bloss: Genau dieser Beeinflussungsversuch fand bei der letzten Präsidentschaftswahl 2017 wirklich statt. Seine Spuren führten ins rechtsextreme Milieu und von dort nach Moskau, zur Hackergruppe «Fancy Bear», die dem russischen Geheimdienst nahestehen soll.
Beruhigend war, dass der Angegriffene trotzdem gewählt wurde. Heute führt aber Wladimir Putin offen Krieg. «Die Invasion der Ukraine erfolgt auch mit Cyberattacken gegen die nationalen Infrastrukturen, und warum nicht auch im Ausland», sagt Cédric O, der französische Staatssekretär für Digitales, um anzufügen:
«Frankreich und alle EU-Länder haben ihre digitale Alarmstufe erhöht. Wir sind äusserst wachsam.»
L'invasion de l’Ukraine par la Russie est aussi une agression cyber. De nombreuses #cyberattaques russes ont touché l'Ukraine et ses infrastructures. La France et l'ensemble des pays 🇪🇺 ont augmenté leur niveau d'alerte. Nous restons extrêmement vigilants #Ukraine 🇺🇦 pic.twitter.com/9KwUlfuSvl
— Cédric O (@cedric_o) March 5, 2022
Frankreich befindet sich im russischen Visier, weil es eine gewisse Distanz zur Nato wahrt. Das macht Paris für Putin zu einem wichtigen Ansatzpunkt, um die atlantische Allianz zu spalten. Und wäre es in der Präsidentschaftswahl von 2017 gelungen, Macron mit einer Schmutzkampagne auszuschalten, wären wohl ausgesprochene Putin-Versteher ins Elysée eingezogen: Hinter dem Wahlsieger lagen die Rechtspopulistin Marine Le Pen und der konservative Ex-Premier François Fillon auf Platz zwei und drei.
Auch bei den französischen Regionalwahlen 2021 war der russische Einfluss spürbar. An der Côte d’Azur, wo viele Oligarchen ihre Villen haben, beschwor der Rechtskandidat Thierry Mariani die Freundschaft zu Russland so laut, dass er von seinem Gegner das «trojanische Pferd des Herrn Putin» genannt wurde. Dem Wahlsieg kam Mariani erstaunlich nahe.
Bei der Wahl im kommenden April soll eine Einmischung von aussen ver- oder zumindest behindert werden. Auf Initiative Macrons hat die Nationalversammlung schon vor längerem ein Gesetz für eine «erhöhte Transparenzpflicht in Wahlkampfzeiten» verabschiedet. Die Auftraggeber bezahlter Inhalte müssen zum Beispiel offengelegt werden. Fakenews auf Twitter, Facebook oder TikTok lassen sich im Eilverfahren löschen.
Der Medienaufsichtsrat CSA kann ferner auswärtige Anbieter blockieren, wenn sie berufsethische Regeln verletzen. Im Ukraine-Krieg hat er prompt die frankophonen Ausgaben der prorussischen Propagandaportale Sputnik und RT sperren lassen.
Seit letztem Oktober kämpft in Paris zudem eine Spezialeinheit namens Viginum gegen Desinformation und andere Cyberattacken. Einem Verteidigungsgremium unterstellt, sensibilisiert sie die Präsidentschaftskandidaten; auch überwacht sie das soziale Netz und wehrt Fake News-Attacken ab.
Unter den 60 Mitarbeitern sind keineswegs nur Informatiker, sondern auch Linguisten und Textanalytiker. Sie forschen nach fremd klingenden Beiträgen in den sozialen Medien. „Vor ein paar Jahren kamen vor allem Roboter zur Massenverbreitung von Fake News zum Einsatz“, sagt David Olivier von der IT-Beraterin Sopra Steria. «Heute sind die Desinformationskampagnen stärker menschgemacht. Sie lassen sich oft nur noch aufspüren, indem der Tonfall der Meldungen oder ihre Sprache analysiert werden.»
Die Kampagnen aus russischen Quellen sind damit – wie die Abwehrversuche in Frankreich – zunehmend personalaufwändig. Das könnte erklären, dass es bisher zu keinen massiven Attacken gegen die Präsidentschaftswahlen gekommen ist: Die russischen Hacker sind momentan vollauf mit der Ukraine beschäftigt und müssen sich ihrerseits gegen westliche Anonymous-Piraten verteidigen.
Im Februar kam es zu einem geballten Cyberangriff auf 15 französische Unternehmen wie Air France, Orange, Arcelor oder Airbus. Als Urheber vermutet die Pariser Behörde für Internetsicherheit (ANSSI) die russische Hackergruppe Sandworm. Sie ist in Frankreich von ihren Manipulationsversuchen der französischen Präsidentschaftskampagne 2017 bekannt. Das war aber bisher ein Einzelfall.
Frankreich scheint derzeit besser gewappnet. Dafür fördert der Ukraine-Krieg in Frankreich das Bewusstsein für eine unangenehme Erkenntnis: Die Cyberkampagnen zur Destabilisierung und Desinformation westlicher Wahlen sind Teil einer umfassenden, nicht mehr nur militärischen Kriegsführung. Sie vermittelt den Franzosen das Gefühl, dass ihre rundum demokratischen Präsidentschaftswahlen irgendwie selber mit dem Krieg zu tun haben. Mit einem hybriden Krieg zwar, aber trotzdem.