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Die Christen klagen, sie würden langsam aus dem Heiligen Land vertrieben. Sind sie vielleicht selber schuld?
Christen gäbe es im Heiligen Land wahrscheinlich keine mehr, wenn die persischen Invasoren vor 1400 Jahren das Mosaik an der Geburtskirche in Bethlehem richtig gedeutet hätten. Über dem Eingang der Kirche prangte damals im Jahr 614 ein Bildnis der Heiligen Drei Könige. Die Perser glaubten, es handle sich bei den orientalisch gekleideten Herren um persische Herrscher – und verschonten die Geburtskirche vor ihrer zerstörerischen Wut. Die Kirche wurde in den Jahrhunderten danach mehrfach umgebaut. Die Kreuzfahrer etwa haben das Eingangstor massiv verkleinert, damit die Esel des Bauernmarktes auf dem Vorplatz nicht mehr ungehindert in die heilige Stätte trampeln konnten.
Heute ist der Bau am Rande der Altstadt von Bethlehem die älteste Kirche im Nahen Osten und eine der wichtigsten Pilgerstätten für christliche Gläubige. Besonders jetzt im Advent drängen sich die Pilger vor der Stelle, an der Jesus geboren worden sein soll. Der vorübergehende Aufmarsch der Gläubigen täuscht darüber hinweg, dass die Christen in der Region um ihre Zukunft fürchten. In Bethlehem selber ist heute nur noch jeder fünfte Bewohner ein Christ, in Israel jeder fünfzigste, im Palästinensergebiet jeder hundertste.
Die Christen in der Gegend des heutigen Israel und Palästina fühlen sich bedroht – nicht mehr primär durch hereintrampelnde Esel, sondern durch den wachsenden Anteil der muslimischen Bevölkerung. Im Schatten des Nahostkonflikts zwischen Palästinensern und Israelis hat sich ein regelrechter Religionsknatsch angestaut. Der US-Fernsehsender «Fox News» hat dem Thema kürzlich eine Reportage mit dem Titel «Battle for Bethlehem» («Kampf um Bethlehem») gewidmet – und das Oberhaupt der Orthodoxen Kirche von Jerusalem hält in einem Gastkommentar für den «Guardian» fest, dass der religiöse Frieden in der Region von der gegenseitigen Bereitschaft abhänge, einander freien Zugang zu den heiligen Stätten zu gewähren. Diese Bereitschaft sinke. Die Lage drohe zu kippen.
"Das Christentum wird ausverkauft im Heiligen Land – mitten im Advent."
Fragt man bei den Touristenführern nach, die in der Geburtskirche mit ihren Gruppen Schlange stehen, hört man zwei Theorien zum Rückgang der Christen im Heiligen Land. Theorie 1: Die politische Situation verschlechtert sich wegen des Konflikts mit Israel. Wer gehen kann, der geht. Und gehen können die tendenziell wohlhabenden Christen viel eher als die armen Muslime. Theorie 2: Die Christen haben einfach zu wenige Kinder. Da seien sie halt selber schuld. Die erste Theorie ist schwer prüfbar. Die Zweite aber stimmt. Während Christinnen in der Region im Schnitt 1,89 Kinder zur Welt bringen, sind es bei den Musliminnen 2,83 Kinder.
Das verheisst nichts Gutes für die christliche Präsenz im Heiligen Land. Doch die sei bitter nötig, wenn man die Kirchen und die Kultur erhalten wolle, sagen einem die Christen, wo immer man in der Gegend hinkommt. Und wenn ihre Glaubensbrüder und -schwestern nicht mehr hier leben wollen, dann sollen wenigstens christliche Touristen Präsenz markieren. Was also tun? Die katholische Kirche versucht’s mit Reliquien. Zum Advents-Auftakt liess der Papst einen Holzsplitter der Jesuskrippe von Rom nach Bethlehem zurückbringen. Der Splitter wurde seit dem 7. Jahrhundert in Rom zur Schau gestellt und soll jetzt zum Pilger-Magneten im Heiligen Land werden. Rom habe es nicht mehr nötig, mit Reliquien die Massen anzulocken, sagt die israelische Religionsexpertin Yisca Harani dazu kürzlich in der Zeitung «Haaretz». Bethlehem schon.
In Nazareth rund 130 Kilometer weiter nördlich sieht die Lage ähnlich aus. In der Sichtbeton-Kathedrale, wo der Mutter Gottes gehuldigt wird, drängen sich dieser Tage zwar die Gläubigen. Die Einkaufsstrassen in der Altstadt sind aber leergefegt. In vielen Läden, die christliche Souvenirs feilbieten, hängen «Sale»-Schilder. Das Christentum wird ausverkauft im Heiligen Land – mitten im Advent.