50 Jahre Kennedy-Attentat
Ein «Oswald-Prozess» wäre heute nur schwer vorstellbar

22.November 1963: Präsident Kennedy wird in Dallas erschossen. Der Attentäter, ein Sonderling namens Lee Harvey Oswald, ist gefasst – zu schnell, um wahr zu sein.

Christoph Bopp
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Kennedy-Attentäter Lee Harvey Oswald

Kennedy-Attentäter Lee Harvey Oswald

Keystone

Am besten wäre es, wenn ein paar grüne Männchen auftreten und gestehen würden, sie hätten an diesem Freitag vor 50 Jahren, diesem 22. November 1963, den amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy umgebracht.

Vielleicht weil er geplant habe, das Roswell Museum zu schliessen.

Oder noch besser: Weil sie nicht wollten, dass die Erdlinge den Mond für sich reklamierten, wie JFK das seiner Nation versprochen hatte. Dann wüssten wir wenigstens Bescheid.

Zu gross, um daran zu glauben

Heute wird gern gesagt, dass die Ursache für das Aufblühen von so vielen Verschwörungstheorien rund ums Kennedy-Attentat dem Umstand zu verdanken ist, dass man nicht glauben will, dass ein verwirrter Querkopf wie Lee Harvey Oswald einen der beiden mächtigsten Männer der Zeit einfach so mit einer Flinte aus der Zeit der Jahrhundertwende erschiessen konnte, auch wenn er dafür ein billiges japanisches Zielfernrohr aufgeschraubt hatte.

Das Muster dieser Verstörung ist bekannt: Auch die Französische Revolution musste das Werk von Freimaurern, Rosenkreuzern oder Juden gewesen sein.

Nun, die Geschichte macht gern Kapriolen. Und ihre Wendepunkte verkleidet sie gerne in die Gestalt einer Farce. Denken wir an die Erstürmung der Bastille 1789 oder an DDR-Pressechef Günter Schabowski, der sich sprachlich verhedderte und so den Untergang des Bauern- und Bürgerstaates einleitete.

LHO markiert ebenfalls einen solchen Wendepunkt. Nicht ganz so historisch wie die oben erwähnten Revolutionen natürlich. Aber dass bei einem so glasklaren Fall wie dem von LHO überhaupt Zweifel aufkommen konnten, zeigt deutlich, dass das Vertrauen der Leute in die moralische Qualität der Regierung (nicht ihrer einzelnen Mitglieder, man wählt schliesslich Politiker, nicht Engel, ins Gremium als Ganzes) am Schwinden war.

Und was später herauskam (im Gefolge der JFK-Untersuchungen), bestätigte die Tendenz.

Die Regierung hatte die Leute belogen, ihre Agenturen hatten versucht, fremde Staatsmänner umzubringen – Dinge, die man allenfalls schurkischen Diktatoren oder kommunistischen Regimes zugetraut hätte. Und so war es nicht länger unmöglich, dass die Regierung und ihre Agenturen in ein Attentat auf den eigenen Präsidenten involviert sein könnten.

Oswald schuldig? Aber klar!

«Glasklar» sei der Fall Oswald gewesen. Heute sieht es natürlich ganz anders aus. Vincent Bugliosi in seinem 1600-Seiten-Wälzer «Reclaiming History» jedenfalls berichtet glaubwürdig, dass am Abend des 22. November 1963 kein Mitglied des Morddezernats von Dallas an der Schuld von Oswald gezweifelt hätte. So klar schien die Faktenlage.

Man hatte das Gewehr, konnte nachweisen, dass Oswald es bestellt hatte; es war unbestritten, dass er zur Tatzeit am Tatort gewesen war; er war als einziger der Angestellten des Schulbuchlagers weggegangen; und schliesslich hatten ihn in Gegenüberstellungen mehrere Zeugen als Mörder des Polizisten J. D. Tippit identifiziert.

Einen so «schönen» Fall hat man als Mordermittler selten.

Offenbar war er zu schön. Oswald war irgendwann zu dämlich, um ihn noch als Trottel ernst nehmen zu können.

Warum nur hatte er Gewehr und Pistole per Post bestellt? Um einen schönen Paper Trail zu legen?

Warum hatte er sich mit den Waffen fotografieren lassen?

Was sollte der komische Ausflug nach Mexico City?

Was die Posse mit Pro- und Anti-Castro-Auftritten in New Orleans?

Und 1964 spazierte Juri Nosenko, hoher KGB-Mitarbeiter, aus der Kälte in die US-Botschaft in Genf und begehrte zu bleiben. Er sei von 1959 bis 1962, während Oswald in der Sowjetunion war, für seine Überwachung zuständig gewesen. Oswald sei kein KGB-Agent gewesen. Niemals.

Undurchsichtiger Sumpf

Bugliosi strapaziert manchmal die Logik. Weil wir «wissen», sagt er, dass LHO der Attentäter war, denn es ist glasklar bewiesen, spielen alle diese irritierenden Fragen keine Rolle.

Klar: Um einen Täter zu überführen, muss die Justiz eine Geschichte konstruieren, muss aus den «Beweisen» auswählen. Aber wenn man dabei zu stark murkst, kommen die selbst ernannten Ermittler und machen aus einem glasklaren Fall einen undurchsichtigen Verschwörungssumpf.

Und wenn die Polizei noch die Hülsen verschusselt, gibts keine Rettung mehr. Die Polizei hat in den Beweisketten im Fall Oswald so manche Lücke gelassen, dass Juristen Bücher schreiben: «Ein Fall Oswald? Unmöglich!» Und so wird die Realität verwirrender als alle Vorstellung.