Einwanderungspolitik
Präsident Biden bricht sein Wahlversprechen: USA nehmen doch nicht mehr Flüchtlinge auf

Im laufenden Fiskaljahr will das Weisse Haus höchstens 15'000 anerkannte Flüchtlinge aufnehmen – oder fast 50'000 weniger als noch im Februar versprochen. Präsident Joe Biden will dem politischen Gegner nicht noch mehr Wahlkampf-Munition liefern.

Renzo Ruf aus Washington
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Wie diese unbegleiteten Kinder in einem Lager in Donna, Texas, überschreiten derzeit zu viele die Grenze zwischen Mexiko und den USA.

Wie diese unbegleiteten Kinder in einem Lager in Donna, Texas, überschreiten derzeit zu viele die Grenze zwischen Mexiko und den USA.

Keystone

Im Wahlkampfprogramm von Joe Biden stand es schwarz auf weiss: Als Präsident würde er pro Jahr mindestens 125'000 Flüchtlinge aus aller Welt aufnehmen – oder deutlich mehr als der angeblich hartherzige Mann, den er aus dem Weissen Haus vertreiben wollte.

Doch nun krebst Biden zurück. Am Freitag gab das Weisse Haus bekannt, dass an der Zahl der Flüchtlinge im laufenden Fiskaljahr, das am 30. September endet, nicht geschräubelt werde. Will heissen: Der neue Präsident hält sich an die Vorgabe seines Vorgängers Donald Trump, der in seinem letzten Amtsjahr beschlossen hatte, nur 15'000 Flüchtlinge aufzunehmen. Dabei handelt es sich um eine rekordverdächtige Quote. (Hinzu kommt: In den ersten sechs Monaten des Fiskaljahres wurde selbst diese Quote nicht ausgeschöpft. Amerika nahm vom 1. Oktober 2020 bis am 31. März 2021 nur gerade 2'050 Flüchtlinge auf.)

Das Weisse Haus begründet den Bruch von Bidens Wahlversprechens mit der politischen Realität. Die Institutionen, die sich mit dem Transport und der Integration von Flüchtlingen beschäftigten, seien derzeit heillos überfordert – weil jeden Tag Hunderte von Migrantinnen und Migranten die Grenze zwischen Mexiko und Amerika überschreiten, wie ein anonymer Präsidentenberater der «New York Times» sagte.

Angst vor politischem «Backlash»

Das ist allerdings nur um die halbe Wahrheit. Zwar stimmt es, dass derzeit eine rekordverdächtige Zahl von Menschen ohne gültige Einreisepapiere ins Land kommt. Aber die Washingtoner Bürokratie macht einen Unterschied zwischen «Sans Papiers», die einen Asylantrag stellen, sobald sie sich auf amerikanischem Boden befinden, und anerkannten Flüchtlingen aus Afrika, Asien oder Osteuropa. Letztere müssen sich umfangreichen Tests unterziehen, bevor sie ins Flugzeug in die USA steigen können. Bisweilen dauern diese Abklärungen jahrelang.

Der Aufnahmestopp von Flüchtlingen erfolgt deshalb wohl vor allem aus politischen Gründen. Biden will dem politischen Gegner nicht neues Wahlkampf-Futter liefern, behaupten die Republikaner doch bereits jetzt, die Demokraten wollten sämtliche Grenzen abschaffen. Diese Kritik ist zwar überzogen, sah sich doch auch die Regierung Trump mit einem Ansturm auf die Südwestgrenze konfrontiert. Aber es gibt zumindest Anzeichen dafür, dass sie in gewissen Bevölkerungssegmenten auf offene Ohren stösst.

Flüchtlingsorganisationen reagierten enttäuscht auf die Ankündigung des Weissen Haus. «Die Vereinigten Staaten sind die mächtigste Nation der Welt und wir können es nicht besser machen?» sagte Ali Noorani, der Direktor des National Immigration Forum. Die linke Parlamentarierin Alexandria Ocasio-Cortez übte scharfe Kritik und sagte, die Entscheidung Bidens sei «komplett inakzeptabel».

Diese Kritik fiel derart massiv aus, dass sich das Weisse Haus im Verlauf des Freitags zu einer Kurskorrektur veranlasst sah. Die Biden-Sprecherin Jen Psaki behauptete in einer schriftlichen Stellungnahme, bei der bekanntgegebenen Zahl handle es sich nur um eine temporäre Limite – die entsprechende Deklaration Bidens habe publiziert werden müssen, damit die Regierung die Herkunftskriterien der Flüchtlinge neuen Begebenheiten habe anpassen können. Psaki versprach, dass der Präsident bis spätestens am 15. Mai eine neue Obergrenze bekanntgeben werde. Sie sagte aber auch, es sei wohl «unwahrscheinlich», dass Amerika bis zum Ablauf des Fiskaljahrs 62'500 Flüchtlinge aufnehmen werde, wie zuvor angekündigt.