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Heute Mittag um 12 Uhr verliert Donald Trump seine Immunität vor Strafverfolgung. Doch das ist nicht sein einziges Problem.
Im vergangenen Sommer erzählte Donald Trump der Gouverneurin aus dem Bundesstaat South Dakota von seinem grossen Traum: «Ich will», sagte der Präsident zu Kristi Noem, «mein Gesicht eines Tages am Mount Rushmore sehen». Noem lachte, Trump nicht. «Er meinte es wirklich ernst», sagte die republikanische Politikerin später.
Der riesige Fels in South Dakota ist so etwas wie das Rütli der Amerikaner. Die vier bedeutendsten Präsidenten aller Zeiten – Abraham Lincoln, George Washington, Teddy Roosevelt und Thomas Jefferson – sind darauf als übergrosse Büsten verewigt. Doch Trumps Traum, dereinst als einer der ganz Grossen in die Geschichte einzugehen, ist definitiv geplatzt. Das Siena College hat 159 Experten befragt. Ihr Fazit: Trump ist der drittschlechteste US-Präsident der Geschichte, vor James Buchanan und Andrew Johnson. Das war 2019, noch vor Corona und vor dem 6. Januar 2021, als Trump gewaltbereite Anhänger gegen das Kapitol hetzte.
Wie das Urteil der Experten heute ausfallen würde, kann man sich leicht ausmalen. Dabei hat der 74-Jährige in seinen vier Jahren an der Macht nicht alles komplett falsch gemacht. Aussenpolitisch ist es ihm gelungen, das Regime in Peking mit scharfer Rhetorik und der Verbannung von chinesischen Technologiefirmen zu schwächen. Erst gestern verurteilte Trumps Regierung den Umgang der Chinesen mit den Uiguren als «Genozid». Und durch seine kompromisslose Nahostpolitik brachte er sein Land zwar an den Rand eines Krieges mit Iran, erwirkte aber mehrere historische Friedensabkommen zwischen Israel und dessen arabischen Nachbarn.
Seine Mahnung an die Europäer, notfalls aus dem Militärbündnis Nato auszusteigen, hatte eine deutliche Erhöhung der hiesigen Militärausgaben und ein Umdenken hin zu einer eigenständigeren Verteidigungspolitik zur Folge. Und schliesslich paukte er eine kleine Justizreform durch, die die horrend langen Gefängnisstrafen für nicht-gewalttätige Drogendealer senkte. Den Republikanern wird der 45. Präsident zudem als der Mann in Erinnerung bleiben, der 230 konservative Richter installieren konnte, drei davon am neunköpfigen Obersten Gericht.
Dass das sein Versagen als Krisenchef in der Pandemie, seine gefährliche Rhetorik gegen Andersdenkende und seine kurzsichtige Wirtschaftspolitik – die Staatsverschuldung stieg während seiner Amtszeit von 19 auf 28 Billionen Dollar – wettmachen kann, glauben nach den jüngsten Ereignissen nicht mal mehr die Spitzen seiner eigenen Partei. Gestern hat Mitch McConnell, der Noch-Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, Trump beschuldigt, die Attacke auf das Kapitol persönlich provoziert zu haben.
Das ist mehr als einfach innerparteilicher Knatsch. Ohne die Unterstützung der Parteioberen droht Trump im anstehenden Amtsenthebungsprozess eine Verurteilung, die zur Folge haben könnte, dass er nie mehr für ein politisches Amt kandidieren darf. Ob das Amtsenthebungsverfahren aber überhaupt legitim ist, bleibt unklar. Trumps Unterstützer argumentieren, er könne nach Ablauf seiner Präsidentschaft gar nicht des Amtes enthoben werden.
Doch Trump droht noch ganz anderes Ungemach. Heute Mittag endet seine Immunität vor Strafverfolgung. Er wird vor seinem Abtritt zwar noch eine Liste mit Personen veröffentlichen, die er begnadigen lässt – vielleicht auch mit seinem eigenen Namen drauf. Vor Gerichtsverfahren auf bundesstaatlicher Ebene kann er sich aber nicht schützen. In New York etwa drohen ihm mehrere Verfahren wegen mutmasslich betrügerischer Geschäfte und Schweigegeldzahlungen an zwei Frauen. Trump muss im äussersten Fall alleine deswegen mit 25 Jahren Haft rechnen. Dazu kommen zwei Klagen von Frauen, die behaupten, von Trump sexuell belästigt worden zu sein. Eine der Frauen, die Journalistin Elizabeth Carroll, hat vergangene Woche betont, sie werde den baldigen Ex-Präsidenten «vor Gericht in Stücke reissen».
Für seinen vorzeitigen Abgang aus Washington heute früh wünscht sich Trump ein pompöses Schlussbouquet mit militärischen Ehren und zahlreichen Anhängern auf einem Militärflughafen unweit der Hauptstadt. Dann lässt er sich in der Air Force One in seine Wahlheimat Florida fliegen. Gemütlich, das steht fest, wird die Zeit als Pensionär nicht für den baldigen Ex-Präsidenten, trotz Sonne, Strand und schönen Ruhegehalt.