Kommentar
Erdogan und Putin stellen Europa vor ein grosses Problem

Im Norden Syriens gehen die Türkei und Russland auf Konfrontationskurs - mit Folgen weit über die Region hinaus.

Fabian Hock
Fabian Hock
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Menschen aus Syrien treffen türkische Soldaten bei einer ihren Basen in der Provinz Idlib.

Menschen aus Syrien treffen türkische Soldaten bei einer ihren Basen in der Provinz Idlib.

Ghaith Alsayed/AP

Während die Welt auf die Ausbreitung des Corona-Virus blickt, fliehen mehr Menschen aus Syrien als je zuvor seit Kriegsbeginn vor rund neun Jahren. Eine Million sind es allein seit Dezember. Und es könnte noch schlimmer kommen: Denn in der Provinz Idlib spitzt sich die Lage in diesen Tagen dramatisch zu.

Idlib ist die letzte Festung der syrischen Rebellen. Sie werden von der Türkei unterstützt. In der Region befinden sich noch rund drei Millionen Zivilisten, die meisten sind aus anderen Landesteilen vor den Truppen von Machthaber Bashar al-­Assad hierher geflüchtet. Assads Armee steht, mit der militärischen Weltmacht Russland im Rücken, wenige Kilometer vor den Rebellen-Verbänden.

In deren Reihen kämpfen türkische Soldaten mit. Mindestens 33 von ihnen kamen jüngst bei einem (wahrscheinlich russischen) Luftangriff ums Leben. Der türkische Präsident Erdogan hat Vergeltung angekündigt.

Die Türkei und Russland stehen kurz vor einer direkten Konfrontation. Erdogan hat sich in eine Falle manövriert, der er nicht entkommt. Einen Schlagabtausch mit Russland auf syrischem Boden kann er nicht gewinnen.

Der türkische Präsident spürt nun, wer in Syrien das Sagen hat: Der Herr im Kreml. Wenn Putin will, dann walzt die von ihm gestützte syrische Armee Idlib einfach platt. Darum hat er zuletzt wieder die Nähe zu den Nato-Partnern gesucht, die er mehrfach vor den Kopf gestossen hatte. Dass die Nato der Türkei in Syrien beisteht, ist allerdings unwahrscheinlich.

Die Millionen Flüchtlinge, die derzeit unter katastrophalen Bedingungen vor den türkischen Grenzmauern ausharren, werden zu einer praktisch unlösbaren Aufgabe für Erdogan: Bleiben können sie nicht, denn Assads Armee rückt näher. Aufnehmen kann er sie nicht, denn in der Türkei befinden sich bereits mehr als drei Millionen syrische Flüchtlinge – das Land stösst jetzt schon an seine Grenzen.

Demnach bliebe Erdogan nur der Bruch mit dem EU-Flüchtlingsabkommen. Heisst: Die Türkei würde die Menschen auf ihrem Weg nach Europa nicht mehr aufhalten.

Im Schatten der Corona-Angst entwickelt sich im Norden Syriens gerade eine Situation, deren Folgen für Europa möglicherweise noch schwerer zu kontrollieren sein werden als die drohende Pandemie.