Julia Balatskaja, 36, erzählt von ihrer Flucht nach Rumänien – und warum sie bereits wieder in die Ukraine zurückgekehrt ist.
«Am Tag, als Russland die Ukraine angegriffen hat, war ich gerade bei meinen Eltern in Odessa. Ich fuhr mit meiner Tochter sofort zurück nach Kiew. Ich war überzeugt, dass es dort sicherer sei. Doch dann hörten wir in der ersten Kriegsnacht dauernd Explosionen. Am nächsten Morgen packte ich das Wichtigste ins Auto. Es gab unglaubliche Staus. Wir kamen nur bis zu einem Wald ausserhalb von Kiew. Dort verbrachten wir die Nacht, hörten dauernd Kampflärm.
Wir standen unheimliche Ängste aus. Diese Angst begleitet mich bis jetzt.
Die Angestellten meiner Kosmetik-Firma berichteten mir von schrecklichen Kämpfen rund um Kiew, wo auch mein Lagerhaus steht. Ich weiss nicht, wie es dort aussieht, seit Wochen kann dort keiner mehr hin. Am nächsten Tag fuhren wir weiter Richtung Westen. Ich wollte zuerst in die Slowakei ausreisen, aber an den Grenzübergängen musste man bis zu drei Tagen warten. Wir warteten auf meine Eltern, die mit dem Zug aus Odessa evakuiert wurden. Und dann,am Ende der ersten Märzwoche, sind wir zu viert nach Rumänien geflohen.
Wir überquerten ohne grosse Wartezeit die Grenze und fuhren von dort in knapp 12 Stunden nach Bukarest, wo wir über eine Booking-Plattform eine Wohnung gemietet hatten. Rumänien ist ein sicherer Hafen. Vor allem auch meine Eltern können ohne Kriegsstress dort leben. Diese Sicherheit bietet die EU, das ist enorm wichtig. Aber natürlich ist es in Rumänien schwieriger als in Polen oder der Slowakei, wo sie eine slawische Sprache sprechen. Hier habe ich oft keine Ahnung, was die Einheimischen von mir wollen auf der Strasse und in den Geschäften. Bei den Behörden haben wir bewusst keinen Flüchtlingsstatus beantragt, denn ich wollte rasch zurück.
Von Bukarest aus kann ich beruflich nichts machen. Meine Firma hat in die ganze Ukraine geliefert, jetzt aber können nur noch ein paar Angestellte im Westteil des Landes arbeiten, wo gerade noch kein Krieg ist. Dort ist allerdings nur noch wenig Ware vorhanden. Sie sind vom Nachschub abgeschnitten.
Ich erspare euch hier die russischen Fluchworte, die ich tagtäglich höre, wenn ich mit ihnen spreche.
Dank der Hilfe der EU und der USA werden wir siegen. Was die Friedensgespräche mit Russland angeht, bin ich aber nicht optimistisch. Die Ukraine kann die sogenannten Volksrepubliken im Donbass und die Annexion der Krim nicht anerkennen. Wir dürfen uns nicht mehr länger betrügen lassen, wie bei den Minsker Friedensverhandlungen wegen des Donbass im September 2014 und Februar 2015.
Wenn wir jetzt einlenken, dann kommen die Russen in zehn Jahren wieder mit ihrer Armee, aber dann einer besseren. Putin sieht jetzt, was für Waffen wir haben, darauf kann er sich in den nächsten Jahren vorbereiten. Deshalb bleibt uns nichts anderes, als zu siegen.
Es gibt keinen Ausweg, nur den Sieg.
Doch Russland setzt jetzt Streubomben ein und will unsere Moral brechen. Sie töten immer mehr Zivilisten, aber damit fachen sie nur unseren Hass weiter an. Sie erreichen mit ihrem Terror genau das Gegenteil! Bald werden wohl keine russischen Kriegsgefangenen mehr gemacht, sondern man bringt sie einfach um. Es würde mich nicht wundern.
Vor ein paar Tagen bin ich wieder in die Ukraine zurückgekehrt. Ich bin nun an einem Ort in der Südukraine, nicht in Odessa selbst. Wo genau, kann ich aus Sicherheitsgründen nicht verraten. Ich wollte einfach meine Tochter in Sicherheit bringen, ich musste das tun. Doch in dieser Situation kann ich die Ukraine nicht im Stich lassen, ich will kämpfen. Jede Hilfe ist willkommen und wird dringend gebraucht. Es lebe die Ukraine!»