EU-China-Gipfel
Der Krieg reisst die Gräben weiter auf: China wird für Europa zum Sicherheitsproblem

Beim ersten EU-China-Gipfel seit zwei Jahren muss Brüssel das Verhältnis zu Peking neu ausloten. Insbesondere der Ukraine-Krieg hat tiefe Risse sichtbar gemacht.

Fabian Kretschmer, Peking
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Xi Jinping, Chinas Präsident, hätte als einziger Politiker dafür sorgen können, dass Putin im Ukraine-Krieg einlenkt.

Xi Jinping, Chinas Präsident, hätte als einziger Politiker dafür sorgen können, dass Putin im Ukraine-Krieg einlenkt.

Huang Jingwen / AP Xinhua

Mehrfach wurde der langerwartete EU-China-Gipfel bereits verschoben, doch die jetzigen Vorzeichen sind ungünstiger als jemals zuvor: Nur 48 Stunden vor dem virtuellen Treffen ist ausgerechnet Russlands Aussenminister Sergej Lawrow in die Volksrepublik geflogen, wo er von seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi über alle Massen hofiert wurde. Man sei «noch stärker gewillt, die bilateralen Beziehungen zu entwickeln» und auf «eine höhere Ebene» zu katapultieren, liess Pekings Spitzendiplomat ausrichten.

Während der Pandemie wurde viel Geschirr zerschlagen

Für Europa sollten solche Aussagen als endgültiger Weckruf dienen, die Hoffnungen auf China als Vermittler in diesem Konflikt zu begraben. Und überhaupt hat der Ukraine-Krieg wie kein zweites Ereignis der letzten Jahre tiefe Trennlinien sichtbar gemacht, die man zuvor aufgrund der florierenden Wirtschaftsbeziehungen nicht sehen wollte. Doch die herbe Enttäuschung darüber, dass Peking seinem strategischen Partner in Moskau auch weiterhin loyal beisteht, lässt sich nicht mehr ignorieren.

Am 1. April treffen nun die Vertreter der EU und China endlich wieder aufeinander. Pandemie-bedingt wird das Treffen per Videoschalte abgehalten. Wenn man die Beziehungen aus der Vogelperspektive betrachtet, dann kann man nur über die rasante Talfahrt staunen: Noch 2019 war das grösste Streitthema zwischen den zwei Seiten, wie man das gemeinsame Investitionsabkommen im Detail aushandeln würde. Doch seither haben sich die Verhältnisse deutlich verkompliziert.

Zum einen ist während der Pandemie viel Porzellan zu Bruch gegangen – auf beiden Seiten, wohlgemerkt. Die chinesische Führung fühlte sich zu Beginn des Virusausbruchs oft zu Unrecht in der Kritik. Und gleichzeitig verprellte sie Europa mit ihrer «Maskendiplomatie», die – zu einem Zeitpunkt grössten Leids – allen voran eine schamlose Propaganda-Inszenierung der eigenen Überlegenheit war.

Anfang 2022 ist zudem mit Litauen erstmals ein EU-Mitgliedsland ganz unmittelbar zum Opfer der chinesischen Wirtschaftsrepressionen geworden: Nachdem Vilnius es wagte, ein Taiwan-Vertretungsbüro zu eröffnen, stellte Peking vorübergehend den bilateralen Handel ein.

Xi positioniert sich als stiller Nutzniesser des Kriegs

Doch der alles entscheidende Katalysator für die Eskalation der Beziehungen ist der Ukraine-Krieg gewesen: Chinas Staatschef Xi Jinping hätte wohl als einzige Politiker Wladimir Putin zum Einlenken bringen können. Stattdessen jedoch versucht er sich nun als stiller Nutzniesser zu positionieren. Seine Staatsmedien und Diplomaten verbreiten systematisch Kreml-Propaganda und sind nicht gewillt, den Aggressor klar zu benennen – ja, nicht einmal «die Situation in der Ukraine» überhaupt als Krieg zu bezeichnen.

Wladimir Putin bezeichnet den Angriff auf die Ukraine nicht als Krieg.

Wladimir Putin bezeichnet den Angriff auf die Ukraine nicht als Krieg.

Mikhail Klimentyev / AP

«Unter den derzeitigen Umständen wäre das beste Resultat, wenn die EU zumindest eine Zusage Chinas erwirken kann, dass es die Bewältigung der humanitären Krise in der Ukraine unterstützt», sagt Janka Oertel vom «European Council on Foreign Relations» mit Sitz in Berlin. Denn auch das wird oft vergessen: Chinas unter Trommelwirbel angekündigte Hilfslieferungen betragen bislang kaum mehr als zwei Millionen Euro. Die europäische Union hingegen hat bereits mit rund 500 Millionen Euro ausgeholfen.

Vor allem die Deutschen haben sich von China abhängig gemacht

All dies führt dazu, dass die EU ihre China-Strategie derzeit grundsätzlich überdenkt. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Volksrepublik unter Xi Jinping nicht nur lukrativer Handelspartner, sondern allen voran eine systemische Herausforderung darstellt. Das wird nicht zuletzt daran deutlich, dass Chinas Parteiführung systematisch daran arbeitet, mit Desinformationskampagnen das westliche Ordnungssystem und seine Werte zu zersetzen. Peking kapert gezielt Begriffe wie «Demokratie» und «Menschenrechte», um diese für die eigene Agenda umzudeuten. Gleichzeitig setzt man die wirtschaftliche Stärke ein, um Kritik am eigenen System bereits im Vorhinein zu unterbinden.

Viele europäische China-Experten rufen händeringend dazu auf, dass Brüssel die wirtschaftlichen Abhängigkeiten von der Volksrepublik verringert. Besonders die deutsche Regierung wollte die langfristigen Gefahren bis zuletzt nicht wahrhaben, schliesslich hängt der Wohlstand der Bundesrepublik so stark vom Marktzugang ab wie in sonst kaum einem anderen europäischen Land.