Europas ungewöhnlichste Wahl

Ausland-Korrespondent Ralph Schulze zur bevorstehenden Wahl in Katalonien.

Ralph Schulze
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Die kommende Wahl in Katalonien kurz vor Weihnachten ist wohl der ungewöhnlichste Urnengang, der dieses Jahr in Europa stattfindet: Mehrere katalanische Spitzenkandidaten des Separatisten­lagers sitzen in Untersuchungshaft. Andere werden mit Haftbefehl gesucht. Das sind keine guten Vorzeichen für eine Abstimmung in einer demokratischen Gesellschaft. Dass diese Wahl am 21. Dezember unter solchen Umständen stattfindet, haben sich die Protagonisten der Unabhängigkeitsbewegung selbst eingebrockt. Sie hatten versucht, mit gesetzeswidrigen Mitteln die Unabhängigkeit Kataloniens durchzusetzen. Dies war weder für Spanien noch für Europa hinnehmbar. Nun müssen die Separatistenführer die Konsequenzen tragen.

Zu den Konsequenzen gehört, dass einige von ihnen vermutlich vorerst nicht ins katalanische Parlament zurückkehren können. Wie etwa Ex-Ministerpräsident Carles Puigdemont. Er war mit einigen Gefolgsleuten vor der spanischen Justiz, die ihn der Rebellion beschuldigt, nach ­Belgien geflüchtet. Bei Rückkehr droht ihm nun die Festnahme. Auch Puigdemonts Ex-Vize, Oriol Junqueras, der zusammen mit weiteren Aktivisten in U-Haft sitzt, wird sein Ab­geordnetenmandat kaum antreten können. Zur Erinnerung: Nach einem illegalen Unabhängigkeitsreferendum und der Abspaltungserklärung der katalanischen Separatisten im Oktober hatte Spaniens Zentralregierung eingegriffen. Madrid setzte die Regional­regierung in Barcelona ab und ordnete Neuwahlen an. ­Drastische Schritte, die durch die Verfassung gedeckt waren. Und mit denen die abdriftende Region wieder auf den Weg der Legalität geholt werden soll.

Bald wird man sehen, ob die Neuwahl dazu beiträgt, die Lage in der brodelnden Region zu beruhigen. Alle Umfragen deuten darauf hin, dass die Separatisten aus ihrem bisherigen radikalen Abspaltungskurs keinen Profit zu schlagen ­vermögen. Sie könnten ihre ­bisherige absolute Mehrheit im Katalonien-Parlament verlieren. Das prospanische Lager scheint derweil aufzuholen. Einige Meinungsforscher sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen voraus. Ob diese leichte Windänderung ausreicht, um in Katalonien einen Macht- und damit einen Kurswechsel einzuleiten, bleibt abzuwarten. Doch auch wenn alles beim Alten bleiben und die Separatisten wieder im Regionalparlament die Oberhand ­gewinnen sollten: Sie werden sich, wenn sie nicht wieder mit der Justiz kollidieren wollen, künftig an die spanische ­Verfassung halten müssen, die bisher die Abspaltung einer Region nicht vorsieht.

Mit anderen Worten: Die Separatisten müssen beim Streben nach einem eigenen katalanischen Staat die demokratischen Spielregeln respektieren. Spaniens Verfassungsrichter stellten ausdrücklich fest, dass es keineswegs illegal ist, nach regionaler Unabhängigkeit zu streben – solange dies mit legalen Mitteln geschieht. Das heisst also mittels Verhandlungen und durch Überzeugungsarbeit, um in Spanien eine politische Mehrheit für eine Verfassungsänderung zu gewinnen. Auch wenn dies mühsam und steinig ist: Es gibt kleine Fortschritte. So vereinbarten Spaniens konservativer Regierungschef Mariano Rajoy und der sozialistische Oppositionsführer Pedro Sánchez, das heisse Eisen einer Verfassungsreform endlich anzupacken. Das ist eine gute Nachricht.

Viele sehen in einer Modernisierung des angestaubten ­spanischen Grundgesetzes, das von 1978 stammt, den Schlüssel für eine Lösung des Katalonien-Konflikts. Auch Sozialistenchef Sánchez setzt auf diesen Weg. Er will versuchen, die immer lauter werdenden Rufe der spanischen Regionen nach mehr Anerkennung und grösserer politischer Autonomie in die Verfassung einzupassen.

Dabei muss ebenfalls die Frage auf den Tisch kommen, ob man nicht der Region die ­gesetzliche Möglichkeit ­einräumen sollte, über ihre Zukunft abzustimmen. Ein Wunsch, der in Katalonien – laut Umfragen – von einer breiten Mehrheit und in ganz Spanien inzwischen auch schon von einem Drittel der Bevölkerung geteilt wird. Abstimmungen über Eigenständigkeit, die im britischen Schottland wie im kanadischen Quebec ganz legal stattfinden konnten – und dort nicht zu einem Bruch der Nation führten.

Ralph Schulze, Spanien-Korrespondent