Fall Kashoggi: Kann der saudische Prinz jetzt noch König werden?

Der Fall Kashoggi droht für den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman zum Stolperstein zu werden. Das Verschwinden des prominenten Journalisten entfacht den bereits entschieden geglaubten Machtkampf in Saudi-Arabien aufs Neue.

Michael Wrase, Beirut
Drucken
Mohammed bin Salman, saudischer Kronprinz. (AP)

Mohammed bin Salman, saudischer Kronprinz. (AP)

Die Vorstellung, mit jemandem an einem Tisch zu sitzen, der eines brutalen Auftragsmordes verdächtigt wird, womöglich sogar seine Hand zu schütteln, dürfte bei den meisten Menschen äusserst unbehagliche Gefühle auslösen. Und so sind Vertreter westlicher Konzerne dieser Tage wenig überraschend auf Distanz zum saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman gegangen und haben ihre Teilnahme an einem für die kommende Woche geplanten Wirtschaftsgipfel in Riad, dem sogenannten «Davos in der Wüste», abgesagt. Wie BBC gestern berichtete, wollen auch der amerikanische Finanzminister Steven Mnuchin und der britische Handelsminister Liam Fox «ein Zeichen setzen» und der Konferenz fernbleiben.

Schweiz bezieht erstmals Stellung

Der Fall Kashoggi erreichte gestern auch Bundesbern: Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) zitierte den stellvertretenden Botschafter Saudi-Arabiens, wie der «Tages-Anzeiger» berichtete. «In einem Gespräch mit dem saudischen Chargé d’affaires ad interim in Bern hat das EDA seine Besorgnis ausgedrückt und Aufklärung über das Schicksal des Journalisten gefordert», teilte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) gemeinsam mit dem EDA mit.

Um nicht völlig das Gesicht zu verlieren, wären die saudischen Gastgeber dann gezwungen, die Veranstaltung abzusagen oder auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. Denn mit einer «Notbesetzung» aus der zweiten oder dritten Reihe würde die Konferenz, auf der Mohammed bin Salman, alias «MBS», sein ambitioniertes Reformprogramm vorstellen und bei seinen Gästen um Investitionen werben will, keinen Sinn mehr machen. Angesichts derartiger Überlegungen war der saudische Aktienindex gestern um weitere 7 Prozent auf den tiefsten Stand des Jahres gefallen.

Schwerste Krise in einer noch jungen Karriere

Ohnehin dürfte der erst 33 Jahre alte Saudi gegenwärtig andere Probleme haben, als an seiner «Vision 2030», die das Königreich vom Erdöl unabhängig machen soll, zu feilen. Mohammed bin Salman muss sich ernsthafte Gedanken darüber machen, wie er die schwerste Krise seiner noch jungen Karriere meistern soll.

Der blutige Krieg im Jemen, der zwei Drittel der Bevölkerung in die Hungernot getrieben hat, die Entführung des libanesischen Premierministers Saad Hariri nach Riad im vergangenen Jahr sowie die gescheiterte Wirtschaftsblockade des Emirates Katar haben «MBS» bisher nicht nachhaltig geschadet. Vermutlich hoffte der von europäischen Geheimdiensten als rachsüchtig beschriebene Hardliner, dass seine «impulsive Interventionspolitik» nun auch in Istanbul geschluckt oder als eine Art Betriebsunfall abgetan werden würde.

Doch dafür war Jamal Kha­shoggi zu prominent, zu gut vernetzt und auch kein «Dissident», wie zunächst fälschlich berichtet wurde: Der 59-jährige saudische Journalist galt als ein Regime­insider und Meinungsmacher, der von «MBS» als gefährlicher Widersacher wahrgenommen und genau deshalb aus dem Weg geräumt werden sollte.

Knapp zwei Jahre benötigte der saudische Kronprinz, um sich im innersaudischen Machtkampf gegen seine zahlreichen Rivalen durchzusetzen. Prominentes Opfer war Mohammed bin Nayef, der bis zum Juni 2017 in der Thronfolge in Saudi-Arabien an erster Stelle stand. Auf Betreiben von «MBS» verlor dieser seinen Status und wurde mit physischer Gewalt dazu gezwungen, vom Amt des Innenministers zurückzutreten. Bis dahin hatte bin Nayef als «der Mann der Amerikaner» gegolten. Die CIA und amerikanische Sicherheitsberater hatten erwartet, dass sich der 59-Jährige gegen «MBS» durchsetzen würde, schreibt der Enthüllungsjournalist Bob Woodward in seinem Enthüllungsbuch «Furcht». Einzig Trumps Schwiegersohn Jared Kushner habe auf «MBS» gesetzt, der nun im Weissen Haus in Ungnade gefallen ist.

Geheimdienste mit klaren Schuldzuweisungen

Noch hat Donald Trump den saudischen Königssohn nicht offiziell beschuldigt, für das Verschwinden oder die Ermordung von Jamal Khashoggi verantwortlich zu sein. Vieles spricht aber dafür, dass es von Seiten der Geheimdienste eindeutige Schuldzuweisungen gibt. Vor allem deshalb hat Trump jüngst zu verstehen gegeben, dass es im Fall Khashoggi eine «harte Bestrafung geben wird» – eine Bestrafung, die sich eigentlich nur gegen bin Salman richten kann.

Der sich abzeichnende Boykott des «Wüsten-Davos» wird dabei nur ein erster Schritt sein. Ob der demente Saudi-König Salman ibn Abd al-Aziz, mit dem Trump in den nächsten Tagen telefonieren will, seinen Sohn zur Ordnung rufen oder gar entmachten wird, darf bezweifelt werden. Allerdings verfügen die USA in Riad noch über andere Kanäle, um «MBS» loszuwerden. Das Verschwinden von Jamal Kha­shoggi, das scheint sicher, dürfte den bereits entschieden geglaubten Machtkampf in Saudi-Arabien erneut entfachen. König kann Mohammed bin Salman, so glauben Analysten in Beirut, nach den Ereignissen in Istanbul jedenfalls nicht mehr werden.