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Während des islamischen Fastenmonats wird traditionell die Nacht zum Tag gemacht. Mitten in der Coronapandemie ist nun vieles anders.
Die «Tische der Gnade» gehören zu den schönsten Einrichtungen im Ramadan. Kurz nach Sonnenuntergang versammeln sich an festlich gedeckten, meist unter freiem Himmel aufgebauten Tafeln die Armen und Bedürftigen und warten auf den Ruf des Muezzins, das Signal zum Fastenbrechen. Millionen von Gläubigen speisen im Ramadan normalerweise an den öffentlichen Gnadentafeln, die es in diesem Jahr nicht geben wird. Wegen des sich noch immer rasant ausbreitenden Coronavirus wurden in den meisten islamischen Ländern strikte Ausgangssperren verhängt.
Der Ramadan beginnt und endet, wenn die Mondsichel nach Neumond erstmals wieder sichtbar ist. In Mitteleuropa wird dies am Donnerstagabend sein, in einigen islamischen Ländern erst am Freitag. Die Prüfung, die Allah rund 1,5 Milliarden Muslimen mit dem Verzicht auf Essen, Trinken, Rauchen und Sex vom Sonnenaufgang bis zum Untergang auferlegt hat, wird in diesem Jahr noch härter sein. Hatten die meisten Muslime in den zurückliegenden Jahren während des Ramadans die Nacht zum Tag gemacht, sich gegenseitig besucht, um gemeinsam ausgiebig zu speisen und danach zu einem ausgedehnten Einkaufsbummel auf überfüllten Strassen aufzubrechen, müssen sie in diesem Jahr zu Hause bleiben.
Viele werden vor ihren Fernsehgeräten sitzen, um die extra für die Fastenzeit produzierten Seifenopern aus Ägypten und dem Libanon zu schauen. Zumindest dieses traditionelle Vergnügen bleibt erhalten.
«Eine Strafe Gottes», wie eine Muslimin in Casablanca den Verzicht auf das gemeinschaftliche, oft überschwängliche Beisammensein während der Fastenzeit bezeichnete, sind die durch die Pandemie verursachten Einschränkungen freilich nicht. «Die Zufriedenheit Gottes kann man auf vielen Wegen erreichen», mahnen nicht nur ägyptische Religionsgelehrte. Innere Einkehr und spirituelle Besinnung sei auch in den eigenen vier Wänden möglich. Auch dort, im engsten Familienkreis, könne die Zeit des Fastens zur Erholung und Reinigung des Körpers und der Seele genutzt werden.
Das Coronavirus, hebt die Weltgesundheitsbehörde WHO auf ihrer Webseite ausdrücklich hervor, sollte gesunde Menschen nicht daran hindern, wie in früheren Jahren die Gebote des Fastens einzuhalten. Bisher gäbe es keine Studien zum Fasten und einem möglicherweise erhöhten Risiko einer Infektion. Bei gesunder und richtiger Ernährung im Ramadan werde das Immunsystem keinesfalls geschwächt, heisst es in den Empfehlungen der ägyptischen Rechtsgelehrten.
Diesen hat sich auch der iranische Revolutionsführer Ali Khamenei angeschlossen. In seinem «Rechtsgutachten» (Fatwa) weist der Geistliche ausdrücklich darauf hin, dass es auch in Zeiten von Corona «nicht zulässig ist, im segenreichen Monat Ramadan das Fasten auszusetzen» – «es sei denn, eine Person hat einen vernünftigen Grund zu glauben, dass das Fasten eine Krankheit verursachen oder verstärken wird».
In solchen Fällen muss die heilige Pflicht des Fastens zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden. Das ist auch für Gesunde nicht immer leicht. In weiten Teilen der islamischen Welt herrschen schon jetzt Temperaturen von über 30 Grad. In Libyen, Syrien und im Jemen geht der Bürgerkrieg weiter. Mehr als die Hälfte der 27 Millionen Einwohner in dem südarabischen Land sind auf internationale Überlebenshilfe angewiesen, die sie inzwischen nur spärlich erreicht. Die bittere Zeit der Entbehrung geht daher im Jemen auch nach dem Untergang der Sonne weiter.
Streng gläubige Muslime können den Einschränkungen indes sogar etwas Positives abgewinnen. Sie erinnern daran, dass sich der Prophet Mohammed zum Fastenbrechen auf das Verspeisen einer ungeraden Zahl von Datteln sowie einige Gläser Tee beschränkt habe.