Die Willkürjustiz der Islamischen Republik macht mobil. Sie will den Kampf um die Nachfolge des Obersten Revolutionsführers Ali Khamenei für einen Hardliner entscheiden. Für Menschenrechtsaktivisten hat das schlimme Folgen.
Im Iran eskaliert der Machtkampf zwischen Hardlinern und Moderaten, die durch die Sanktionen von US-Präsident Donald Trump immer stärker in die Defensive geraten. Im Zentrum der Konfrontation steht das Ringen um die Nachfolge des bald 80-jährigen Obersten Revolutionsführers Ali Khamenei, dem mächtigsten Mann der Islamischen Republik. Khamenei, auf Lebzeiten ernannt, ist gesundheitlich angeschlagen.
Die Hardliner setzen derzeit vor allem die Justiz ein, was sich in krassen Urteilen, bizarren Prozessen und willkürlichen Verhaftungen niederschlägt. Zum neuen Justizchef ernannte Khamenei kürzlich Ebrahim Raisi, den 2017 unterlegenen konservativen Gegenkandidaten von Präsident Hassan Rohani. Mit dieser Beförderung soll der 58-jährige Kleriker aus Mashad für das Amt an der Staatsspitze in Stellung gebracht werden.
Derweil versucht der Justizapparat, alle Andersdenkenden zum Schweigen zu bringen. Besonders im Visier steht der zivile Ungehorsam in der Gesellschaft, der sich seit Anfang 2018 in der Islamischen Republik ausbreitet. Frauen stellten sich demonstrativ ohne Kopftuch auf die Strasse. Proteste gegen hohe Arbeitslosigkeit und soziale Missstände erfassten zwischenzeitlich das ganze Land. 7000 Opponenten liess das Regime 2018 festnehmen, ins Gefängnis werfen oder auspeitschen, um den Aufruhr zu ersticken. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sprach rückblickend von «einem Jahr der Schande für den Iran».
Aufsehen erregt derzeit vor allem der Fall der prominenten Menschenrechtsanwältin Nasrin Sotoudeh. Sie wurde kürzlich wegen «Korruption und Auflösung der Sitten» zu zwölf Jahren Haft verurteilt, weil sie Frauen nach deren Kopftuchprotesten vor Gericht verteidigt hatte. 148 Peitschenhiebe erhielt sie obendrein, weil sie es gewagt hatte, ebenfalls ohne Kopftuch auf der Anklagebank zu erscheinen. Das Urteil will sie nicht anfechten, wie ihr Mann Reza Khandan am Sonntag bekanntgab. Ihr Verfahren verstosse gegen «die Prinzipien eines fairen Prozesses», daher werde sie auf der juristischen Ebene nichts mehr unternehmen, liess sie ausrichten.
Vor Gericht verzichtete Nasrin Sotoudeh auf einen Verteidiger, weil diese anschliessend meist selbst hinter Gittern landen. Sie werde keinen Rechtsanwalt mehr ans Messer liefern, der dann wegen ihr ebenfalls angeklagt werde, sagte sie zur Begründung. Das Europäische Parlament, das Nasrin Sotoudeh 2012 mit dem Sacharow-Preis ehrte, protestierte scharf. Derzeit sitzt die 55-Jährige bereits eine fünfjährige Haftstrafe ab, zu der sie im vergangenen Sommer in einem Geheimprozess ohne ihre Anwesenheit verurteilt worden war. Zusammen mit ihr eingesperrt sind mindestens sieben weitere Menschenrechtsanwälte.
Ähnlich obskur ist auch der Prozess gegen Umweltaktivisten der «Persian Wildlife Heritage Foundation», deren Chef, der Tierschützer und Soziologieprofessor Kavous Seyed-Emami, Anfang 2018 unter mysteriösen Umständen in der Haft zu Tode kam. Hinter verschlossenen Türen sind die acht Wissenschafter angeklagt wegen Spionage und «Aussaat von Verderben auf Erden», auf das die Todesstrafe stehen kann. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, mit ihren stationären Wildkameras Staatsgeheimnisse ausspioniert zu haben, eine Behauptung, die Fachleute als völligen Unsinn zurückweisen. Solche Kameras seien lediglich in der Lage, Tiere in wenigen Metern Entfernung zu erfassen, und können keine Daten übertragen. Die Angeklagten hatten sich den vom Aussterben bedrohten Schneeleoparden im Iran gewidmet, von denen noch etwa 50 Tiere existieren.
Insgesamt 63 Umweltaktivisten wurden laut Amnesty International im letzten Jahr verhaftet. Von einer der Angeklagten drang aus dem Prozess nach draussen, dass sie vor Gericht klarstellte, in der Haft misshandelt und zu einem falschen Geständnis gezwungen worden zu sein.
Dieses rabiate Vorgehen der Justiz jedoch liegt ganz auf der Linie ihres neuen Chefs, Ebrahim Raisi. Er gilt als absolut regimetreuer Kleriker. Bereits in jungen Jahren war er Mitglied einer vierköpfigen «Todeskommission», die 1988 die Hinrichtungen von etwa 4000 Regimegegnern im Minutentakt durchwinkte – das barbarischste Kapitel iranischer Blutjustiz seit Bestehen der Islamischen Republik. Für seine Ambitionen auf das Amt des Obersten Revolutionsführers hat Raisi die Unterstützung der Revolutionären Garden. Das moderate Lager um Präsident Hassan Rohani dagegen erscheint derzeit wie gelähmt, weil ihm die Wirtschaftsprobleme über den Kopf zu wachsen drohen.